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Der Vorfahr: Eine Seele in der Steinzeit (German Edition)

Der Vorfahr: Eine Seele in der Steinzeit (German Edition)

Titel: Der Vorfahr: Eine Seele in der Steinzeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter W. Hohenester
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Ranken hängen, als ich voller Angst, ihn aus den Augen zu verlieren, dem behände davoneilenden Schamanen hinterher hastete. Endlich hielt er an.
    »Wir müssen hier entlang.«
    Er zeigte mit dem Kopf in Richtung eines finsteren, völlig überwucherten Seitenganges. Er ging voraus. Das Geräusch des herabstürzenden Wassers verebbte hinter uns. Ich tastete mich, immer wieder stolpernd hinter ihm her. Die Wände rückten so dicht zusammen, dass ich mit den Schultern dagegen stieß. Es roch nach vermodertem Laub. Sie Steine unter meinen Füßen waren glitschig und bemoost. Ich tappte durch Pfützen. Spinnweben wehten in mein Gesicht. Der Schamane vor mir bewegte sich lautlos mit der Gewandtheit einer Katze. Nur die Wärme seines Körpers gab mir Gewissheit, dicht hinter ihm zu sein. Es ging wieder bergauf. Dann spürte ich einen frischen Lufthauch. Lichtflecken sprenkelten den Boden.
    Wir standen unter dem Wurzelwerk einer riesigen vom Felsen gestürzten Tanne. Der Schamane schlug die herabhängenden Wurzeln zur Seite. Vor uns lag ein weiter ebener von hohen Felsen begrenzter Talkessel. Die Sonne warf letzte Strahlen hinein. Es roch nach Klee. Die kleinen Bergbrüder der Vögel des Od flogen zwischen den Felsen herum. Ich holte tief Luft. Sie war weich und mild.
    »Wir sind im Tal der heißen Quelle«, hörte ich den Schamanen sprechen.
    Von der Höhe, auf der wir standen konnten, wir weit hinausblicken. Auf der gegenüberliegenden Talseite sah ich einige spitze Fellzelte stehen. Noch weiter weg, rechts davon stieg Dampf hinter einigen Felsen auf. Der Schamane folgte der Richtung meines Blicks.
    »Richtig«, sagte er. »Dort wo der Dampf zum Himmel steigt, tritt die heiße Quelle zutage. Sie sammelt sich in einem kleinen Becken. Die jungen Jäger, die hier den Gebrauch der Waffen lernen, leben in den Zelten dort drüben und entspannen sich nach den Übungen im warmen Wasser. Wir aber gehen zum Schamanentreff im Inneren des Berges, dort wo die Quelle entspringt.«
    Ich wunderte mich. Er hatte gesagt wir würden zum Schamanentreff gehen. Ich hatte schon von einem Schamanentreff gehört. Nur Eingeweihte durften dort hin. Der Zugang für Laien war streng verboten. Ich äußerte meine Bedenken. Aber Ojun lachte nur.
    »Ich habe schon mit ihnen über dich gesprochen.«..
    Wir kletterten zur Talsohle hinab. Dann wanderten wir in der aufkommenden Dämmerung weiter. Meine Füße schmerzten mich vom ungewohnten Lauf über Felsen und Geröll. Mein Magen knurrte und die Ungewissheit, was mich beim Schamanentreff erwartete, bereitete mir Unbehagen. Ich bewunderte Ojun, der ohne das geringste Zeichen von Müdigkeit, leichtfüßig neben mir dahin eilte. Wie immer erkannte er, was in mir vorging.
    »Du musst deine Füße alleine laufen lassen«, riet er. »Sie wissen auch ohne dich, was zu tun ist. Löse deinen Geist von ihnen. Lasse ihn mit deinen Augen durch die Landschaft ziehen. Denke nicht an deinen Magen. Wir werden essen, wenn wir aus der heißen Quelle kommen. Es ist besser so.«
    Der hatte leicht reden. Der war Schamane. Der wusste, wie man seinen Geist fortschickte, weg von knurrenden Mägen und schmerzenden Füßen. Mein Geist aber schien unabwendbar von der Absicht durchdrungen zu sein, eine feste Beziehung zum Schmerz in meinen Füßen einzugehen. Auch die schönsten blauen Schatten und die lieblichsten im Abendlicht rosa aufleuchtenden Felsspitzen konnten ihn nicht davon abbringen. Darauf aufmerksam gemacht, meinte Ojun ungerührt:
    »Nur Geduld. Wir sind gleich da.«
    Was blieb mir anderes übrig? Ich humpelte tapfer neben ihm her.
    Der Himmel wurde vom ersten Licht des Mondes hinter den Bergen erhellt. Die Felsen glänzten silbrig, als wir in ein schmales Seitental gelangten. Ich blieb überrascht stehen. Zwei Höhlenöffnungen, die von Feuern erhellt wurden, zeigten sich auf halber Höhe der Felsen. Auch auf dem Grund davor brannte ein Feuer. Weibliche Gestalten umkreisten es mit langsamen stampfenden Schritten. Eine groß gewachsene schlanke Frau stand daneben. Sie spielte auf einer Holunderrohrflöte eine traurige Melodie.
    Ojun ging auf die Flötenspielerin zu. Die unterbrach ihr Spiel.
    »Ich begrüße dich Ojun, du weisester aller Schamanen. Wer ist der Fremde neben dir? Ich habe ihn noch nie gesehen. Ihr seid spät dran. Die meisten sind schon da.«
    »Ich begrüße dich, Homöopatha, du beste aller Beherrscherinnen des Heilens mit der Kraft der Kräuter.«
    Ojun deutete höflich die Geste der Unterwerfung an.

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