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Der Vorleser (Diogenes Taschenbuch, 22953) (German Edition)

Der Vorleser (Diogenes Taschenbuch, 22953) (German Edition)

Titel: Der Vorleser (Diogenes Taschenbuch, 22953) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Schlink
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Kriegs- und Heimatfilm über den Wildwestfilm bis zur Nouvelle vague, und ich mochte, was aus Hollywood kam, egal ob’s im alten Rom oder im Wilden Westen spielte. Einen Wildwestfilm liebten wir beide besonders; Richard Widmark spielt einen Sheriff, der am nächsten Morgen ein Duell bestehen muß und nur verlieren kann und am Abend an die Tür von Dorothy Malone klopft, die ihm vergebens zu fliehen geraten hat. Sie macht auf. »Was willst du jetzt? Dein ganzes Leben in einer Nacht?« Hanna neckte mich manchmal, wenn ich zu ihr kam und voller Verlangen war. »Was willst du jetzt? Dein ganzes Leben in einer Stunde?«
    Ich sah Hanna nur einmal unverabredet. Es war Ende Juli oder Anfang August, die letzten Tage vor den großen Ferien.
    Hanna war tagelang in sonderbarer Stimmung gewesen, launisch und herrisch und zugleich spürbar unter einem Druck, der sie aufs äußerste quälte und empfindlich, verletzlich machte. Sie nahm, sie hielt sich zusammen, als müsse sie verhindern, unter dem Druck zu zerspringen. Auf meine Frage, was sie quäle, reagierte sie unwirsch. Ich kam damit nicht gut zurecht. Immerhin spürte ich nicht nur meine Zurückweisung, sondern auch ihre Hilflosigkeit und versuchte, für sie dazusein und sie zugleich in Ruhe zu lassen. Eines Tages war der Druck weg. Zuerst dachte ich, Hanna sei wieder wie immer. Wir hatten nach dem Ende von »Krieg und Frieden« nicht sogleich ein neues Buch begonnen, ich hatte versprochen, mich darum zu kümmern, und hatte mehrere Bücher zur Auswahl dabei.
    Aber sie wollte nicht. »Laß mich dich baden, Jungchen.«
    Es war nicht die sommerliche Schwüle, die sich beim Betreten der Küche wie ein schweres Gewebe auf mich gelegt hatte. Hanna hatte den Badeofen angemacht. Sie ließ das Wasser einlaufen, gab ein paar Tropfen Lavendel dazu und wusch mich. Die blaßblaue, geblümte Kittelschürze, unter der sie keine Wäsche trug, klebte in der heißen, feuchten Luft an ihrem schwitzenden Körper. Sie erregte mich sehr. Als wir uns liebten, hatte ich das Gefühl, sie wolle mich zu Empfindungen jenseits alles bisher Empfundenen treiben, dahin, wo ich’s nicht mehr aushalten konnte. Auch ihre Hingabe war einzig. Nicht rückhaltlos; ihren Rückhalt hat sie nie preisgegeben. Aber es war, als wolle sie mit mir zusammen ertrinken.
    »Jetzt ab zu deinen Freunden.« Sie verabschiedete mich, und ich fuhr. Die Hitze stand zwischen den Häusern, lag über den Feldern und Gärten und flimmerte über dem Asphalt. Ich war benommen. Im Schwimmbad drang das Geschrei der spielenden und planschenden Kinder an mein Ohr, als komme es aus ferner Ferne. Überhaupt ging ich durch die Welt, als gehöre sie nicht zu mir und ich nicht zu ihr. Ich tauchte in das chlorige, milchige Wasser und hatte kein Bedürfnis, wieder aufzutauchen. Ich lag bei den anderen, hörte ihnen zu und fand, was sie redeten, lächerlich und nichtig.
    Irgendwann war die Stimmung verflogen. Irgendwann wurde es ein normaler Nachmittag im Schwimmbad mit Hausaufgaben und Volleyball und Tratsch und Flirt. Ich habe keine Erinnerung daran, womit ich gerade beschäftigt war, als ich aufblickte und sie sah.
    Sie stand zwanzig bis dreißig Meter entfernt, in Shorts und offener, in der Taille geknoteter Bluse, und schaute zu mir herüber. Ich schaute zurück. Ich konnte über die Entfernung den Ausdruck ihres Gesichts nicht lesen. Ich bin nicht aufgesprungen und zu ihr gelaufen. Mir ging durch den Kopf, warum sie im Schwimmbad ist, ob sie von mir und mit mir gesehen werden will, ob ich mit ihr gesehen werden will, daß wir uns noch nie zufällig getroffen haben, was ich tun soll. Dann stand ich auf. In dem kurzen Moment, in dem ich dabei meinen Blick von ihr ließ, ist sie gegangen.
    Hanna in Shorts und geknoteter Bluse, mir ihr Gesicht zugewandt, das ich nicht lesen kann – auch das ist ein Bild, das ich von ihr habe.

17
     
    Am nächsten Tag war sie weg. Ich kam zur üblichen Stunde und klingelte. Ich sah durch die Tür, alles sah aus wie sonst, und ich hörte die Uhr ticken.
    Wieder setzte ich mich auf die Treppenstufen. In den ersten Monaten hatte ich immer gewußt, auf welchen Strecken sie eingesetzt war, auch wenn ich sie nie mehr zu begleiten oder auch nur abzuholen versucht hatte. Irgendwann hatte ich nicht mehr danach gefragt, mich nicht mehr dafür interessiert. Es fiel mir erst jetzt auf.
    Von der Telephonzelle am Wilhelmsplatz rief ich die Straßen- und Bergbahngesellschaft an, wurde ein paarmal weiterverbunden und erfuhr,

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