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Der Vormacher

Der Vormacher

Titel: Der Vormacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferdinand Decker
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echten Leben funktioniert das nicht. Meine Frau ist schwerkrank. In ein paar Wochen ist sie tot! Wie willst du das schönreden?«
    »Ich will das nicht schönreden«, gibt Fritz zurück. »Es ist deine Frau. Du willst das schönreden.«
    »Da gibt es nichts schönzureden!«
    »Der Tod ist doch nichts Schlechtes«, sagt Fritz. »Jedenfalls nicht prinzipiell. Alles lässt sich schön- und schlechtreden.«
    Ich habe das Gefühl, ich müsste wütend werden, wenn er so über meine Frau redet, aber es gelingt mir nicht. Mein Bauch ist voll, ich trinke Bier, ich rauche Zigaretten. Fritz stinkt, aber ansonsten ist er eine gute Gesellschaft. Wahrscheinlich macht es ihm Spaß, den weisen Chinesen raushängen zu lassen.
    »Sehr gut!«, ruft er plötzlich.
    »Was denn?«
    »Du hast gelächelt. Du bist auf dem richtigen Weg. Sag mir jetzt, was gut ist an der Krankheit deiner Frau.«
    Ich zögere. Er schüttelt den Kopf und macht eine Handbewegung, als wische er etwas aus der Luft.
    »Pass auf, Henri«, sagt er. »Da sitzt ein großes Schuldgefühl im Weg. Alles hat gute und schlechte Seiten, also auch die Krankheit deiner Frau. Alles, was ich von dir will, ist eine vollständige Analyse. Und dazu gehören auch die positiven Nebenwirkungen. Du hast doch gesagt, dass du deine Frau schon seit Jahren satt hast?«
    Ich nicke beschämt.
    »Und jetzt ist sie todkrank. Das heißt doch, dass ihr bald auf eine höchst natürliche Weise voneinander getrennt werdet?«
    Wieder nicke ich, vorsichtig. Schließlich hat er recht.
    »Also hat auch die Krankheit deiner Frau was Gutes«, stellt Fritz fest. »Was ist denn so schlecht daran, das zuzugeben?«
    »Es ist nicht schlecht«, sage ich. »Ich bin schlecht. Vielleicht wäre Jana nie krank geworden, wenn ich nicht so ein schlechter Freund gewesen wäre. Immer habe ich gezweifelt, immer wollte ich weg von ihr, wollte sie loswerden. Eigentlich habe ich ihr jahrelang etwas vorgelogen.«
    Fritz gähnt.
    »Mach dich ruhig runter«, sagt er. »Scheint ja eine Gewohnheit von dir zu sein. Du nimmst dich zu wichtig. Denkst du denn, du kannst dir aussuchen, wie du bist? Klagt ein Wurm, dass er ein Wurm ist? Beschwer ich mich darüber, dass ich ein schlitzäugiger Alkoholiker bin, der nicht einmal seine eigene Frau im Griff hat? Jeder ist, wie er ist. Verlogen, schleimig, impotent, egoistisch, dumm, verfressen, schwach, kleinlich … so wie es verschiedene Tierarten gibt, gibt es auch verschiedene Menschen. Ein Schwein bleibt ein Schwein, und alle Scham und Schuldgefühle helfen da nichts – dann ist es halt ein Schwein, das sich schämt. Lektion drei: Die Welt dreht sich, und wir drehen uns mit.«
    »Aber ich bin doch kein Tier«, protestiere ich schwach. »Ich bin ein Mensch, und Menschen können sich ändern.«
    »Ach was«, sagt Fritz. »Menschen ändern sich nicht. Menschen schämen sich, das ist alles. Der Mensch, das ist das zoon pudendon .«
    »Was?«
    »Das sich schämende Tier«, erklärt Fritz, und es klingt beinah wie eine Entschuldigung. »Ich habe ein paar Semester Philosophie studiert. Aber zurück zum Thema. Wofür schämst du dich noch mal genau?«
    »Für alles«, antworte ich. »Für meine Schwäche vor allem und meinen Egoismus. Dass ich jahrelang meinen Mund nicht aufgemacht habe, solange es noch ging. Und als Jana krank wurde, habe ich sie geheiratet, um gut dazustehen, damit jeder weiß, ich lasse meine kranke Freundin nicht im Stich.«
    »Das ist deine Interpretation«, sagt er. »Aber passiert ist viel weniger. Du warst ein paar Jahre mit Jana zusammen, sie wurde krank, und dann habt ihr geheiratet. Das sind die Fakten. Und die kann man auch ganz anders interpretieren. Ich würde sagen: Du hast aus Ritterlichkeit so lange ausgehalten, weil du wusstest, wie wichtig es für sie war, mit dir zusammen zu sein. Außerdem war da ein Vorgefühl, dass dich davon abhielt, sie mit der harten Wahrheit zu konfrontieren; tief drinnen wusstest du, dass ihre Zeit begrenzt war. Natürlich hättest du leicht eine Affäre haben können. Aber die Frauen, die sich dafür angeboten haben, waren einfach nicht interessant genug für dich.«
    »Aber das stimmt nicht!«, protestiere ich. »Theodora –«
    »Es geht auch anders«, unterbricht er mich. »Du hast Jana doch geliebt, nur konntest du das damals noch nicht zugeben, dir selbst gegenüber jedenfalls nicht. Du hattest immer noch einen Blick für die Schönheit anderer Frauen, aber auf bewundernswerte Weise hast du dich zurückgehalten, um deiner

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