Der Vormacher
Plastikeimer in der Ecke erkenne. Mühsam rapple ich mich hoch und bringe ihm das Ding. Ohne ein weiteres Wort dreht Fritz sich auf die Seite, streckt den Kopf über die Sofakante und kotzt in den Eimer. Bei dem Anblick wird das unangenehme Gefühl in meinem Bauch noch dringender.
»Geht’s?«, frage ich.
Fritz, mit dem Kopf über dem Eimer, winkt ab.
»Dafür habe ich ja den Eimer«, keucht er.
»Tja«, sage ich. »Danke für die Gastfreundschaft. Ich geh dann mal. Ich bin echt ziemlich fertig.«
Ohne aufzuschauen, gibt mir Fritz mit dem Daumen sein Okay. Eilig verlasse ich die Wohnung. Den Anblick des roten Eimers hätte ich keinen Moment länger ausgehalten. In der Dämmerung gehe ich zu meinem Auto zurück. Die laue Abendluft schlägt mir auf den Magen, lieber wäre mir jetzt die erfrischende Kälte eines Winterabends. Ich muss lachen, einfach so. Das strengt mich so an, dass ich mich ein paar Minuten an einer Hauswand abstützen muss. Die Spannungen der letzten Wochen, die schlechte Nacht, das schwere Essen, das Bier, die Zigaretten – ich fühle mich wie ein alter Putzlappen.
Als ich endlich in den Autositz sinke, atme ich etwas auf.
»Ha«, sage ich zufrieden. »Ha, ha. Hallo.«
Ich habe nicht gekotzt. Ich hänge nicht über einem Eimer. Aber Fritz ist ja auch ein halber Asiate, und denen fehlt ein Enzym, ein Alkoholenzym. Arme Sau. Zum Glück habe ich meine Alkoholenzyme beieinander. Es ist dunkel auf dem Parkplatz. Ich schlafe ein.
Ich erwache in tiefer Nacht. Mein Magen rebelliert, spät, aber umso heftiger. Ich öffne die Wagentür und kotze raus. Die Krämpfe sind so stark, dass ich mich dem Tode nahe wähne. Dann schlafe ich wieder ein.
Als ich zum zweiten Mal erwache, klopft jemand gegen die Fensterscheibe. Mühsam zwinkere ich durchs Glas hinaus. Der Morgen ist angebrochen. Meine Augen sind verklebt, mein Rücken schmerzt, und ich habe einen fürchterlichen Geschmack im Mund. Ich öffne das Autofenster.
»Henri! Ach du Scheiße …« Eine Frauenstimme. Es ist Linda. Ich denke an die Kotze neben der Autotür. Hoffentlich ist sie nicht reingetreten.
»Hallo«, sage ich und versuche zu lächeln.
»Geht’s?«, fragt sie.
Ich nicke.
»Wie spät ist es?«, frage ich.
»Neun Uhr«, antwortet sie.
»Dann fahre ich mal besser nach Hause, glaube ich«, sage ich. Der Autoschlüssel steckt schon. Zum Glück.
»Kannst du fahren? Soll ich dich nicht besser bringen?«
»Es geht schon«, sage ich. »Ich habe ja lange genug geschlafen.«
Der Wagen springt an.
»Danke«, sage ich noch. Als ich den Parkplatz verlasse, sehe ich im Rückspiegel, wie Linda mir hinterhersieht. Zum Glück ist die Stoßzeit schon vorbei, es ist wenig los.
Dass Linda mich so sehen musste! Wenn sich das rumspricht im Büro … Hiller schläft seinen Rausch im Auto aus und kotzt auf den Parkplatz … habt ihr’s schon gehört? Seit seine Alte krank ist, ist er vollkommen durch den Wind … na ja, früher war ja auch nicht viel los mit dem Kerl, aber jetzt ist er auf dem besten Wege in die Arbeitslosigkeit … Ich sehe sie schon ihre Köpfe schütteln. Armes Schwein, sagt einer; der andere nickt, ja, arme Sau … Wer ist schon so blöd und schläft vor dem eigenen Büro ein! Ich hätte doch ein Taxi nehmen und zu Hause schlafen können. Warum habe ich daran nicht gedacht? Weil ich betrunken war. Weil ich mich mit einem stinkenden Halbvietnamesen betrinken musste, der will, dass ich mir die Welt gutinterpretiere. Das will ich sehen, wie Fritz so eine Blamage schönreden will! Schlimmer kann es nicht mehr kommen!
Oder doch, ja, eigentlich schon. Ich habe großes Glück gehabt, dass Linda mich gefunden hat und nicht Theodora. Wer will schon mit einem kotzenden Parkplatzpenner ins Bett? Oder wenn der Chef mich gefunden hätte – das wäre erst übel gewesen! Linda ist loyal; vielleicht behält sie es für sich. Wenn ich mich recht entsinne, habe ich in ihrem Gesicht keinen Ekel gesehen, nur Sorge und aufrechte Hilfsbereitschaft. Sie wollte mich sogar nach Hause bringen!
Außerdem kann ich stolz darauf sein, dass ich gestern nicht mehr nach Hause gefahren bin. In meinem Zustand hätte ich bestimmt einen Unfall gebaut, unschuldige Spaziergänger überfahren oder wenigstens eine Ampel gerammt. Und ist es nicht ein gutes Zeichen, dass ich eine ganze Nacht lang im Auto schlafen konnte, ohne dass man mich bestiehlt oder überfällt? Ich hatte den Wagen nicht mal verriegelt. Trotzdem ist mir nichts passiert. Also bin ich entweder
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