Der Wachsmann
Erkundigungen einziehen. Einstweilen aber bleibt die Frage, wer hat die Teufelei nun ausgeheckt, und wie wird aus einzelnen Neumen eine passende Melodie?«
»Indem Ihr den Pütrich zum Singen bringt«, schlug Peter keck vor.
»Worüber?« fragte der Richter leicht enttäuscht. »Ich hatte eigentlich gehofft, daß Ihr Euch nicht mehr von Mißgunst und Vorurteilen leiten laßt. Oder glaubt Ihr etwa in der Tat den Irrsinn, daß ein Kaufmann seine eigenen Waren rauben läßt?«
Den Vorwurf mochte Peter nicht auf sich sitzen lassen, und er beeilte sich, dem Richter Grund und Durchführung seines Besuches bei dem alten Pütrich zu schildern. »Ihr hättet sehen sollen«, schloß er triumphierend, »wie der Kaufmann vor seinem offenen Kasten erschrak und sich wegen der Auflistung seines Verlustes wand.«
»Bedauerlicherweise hab’ ich’s nicht gesehen«, wiegelte der Richter ab, und Peter glaubte dabei einen erneuten Vorwurf für sein eigenmächtiges Handeln herauszuhören.
»Und überhaupt«, schränkte Diener noch weiter ein, »was habt Ihr Euch davon versprochen? Vieles, was beim ersten Aufschrei maßlos und ungeheuerlich erscheint, erweist sich mit Abstand und Augenmaß besehen doch als geringes Übel. Der alte Pütrich hat sich zuerst zwar aufgeregt, aber mir ist nicht bekannt, daß er selbst je einen größeren Verlust beklagte. War dies nicht eher das Geschäft von Kreaturen wie Caspar Nickel und anderen Maulhelden? Erwartet Ihr etwa, daß ich vor eines der angesehensten Ratsmitglieder dieser Stadt hintrete und Aufklärung über etwas verlange, worüber der Betroffene selbst keine Klage führt? Für so verrückt könnt Ihr mich doch nicht halten.«
Peter blieb die Antwort schuldig und verwies statt dessen darauf, wie der Kaufmann angesichts des Psalmfragmentes erschrocken war.
»Es war im Hausflur, sagtet Ihr. War es dort nicht reichlich dunkel?« wollte Konrad Diener wissen.
»Ihr glaubt mir nicht!« gab Peter entrüstet zurück.
»O doch. Ich zweifle nicht an Eurem Wort. Doch ist es nicht häufig so, daß wir etwas sehen, weil wir es unbedingt so sehen wollen?«
Peter spürte, wie sich Niedergeschlagenheit in ihm breitmachte. Noch stets, wenn er geglaubt hatte, eine gute Idee zu verfolgen oder ein schlagendes Argument vorzulegen, hatte dieser berufsmäßige Zweifler sie ihm zunichte gemacht. »Aber die Psalmen sind ein Schlüssel zur Tat«, beharrte er trotzig.
»Mag sein«, entgegnete sein Widerpart mit skeptisch hochgezogenen Brauen. »Doch sollte das Haus Pütrich darin verstrickt sein, dann erklärt mir doch, wieso ausgerechnet ein Pütrich ein solches Pergament überbringt, mit dem Hinweis, daß es möglicherweise der Aufklärung diene?«
Peter vermochte es nicht zu sagen und schwieg zerknirscht.
»Laßt uns doch erst zusammentragen, was wir wissen«, schlug der Richter versöhnlich vor. »Die richtigen Schlüsse ergeben sich dann schon von selbst.«
Und er begann auch gleich, die Anhaltspunkte aufzuzählen: »Da hätten wir also zunächst den Überfall auf Jakob Krinner, der kaum mehr zweifelhaft erscheint, wenngleich wir Grund und nähere Umstände nicht kennen. Als nächstes wurde eingebrochen, wobei wir nicht wissen, wer was und warum gestohlen hat. In beiden Fällen aber handelte es sich um Besitztum des Kaufmanns Heinrich Pütrich. Stimmt Ihr mir hierin zu?«
Peter nickte bejahend, und der Richter fuhr fort: »Kurz darauf wurde der Flößer Jakob Krinner ermordet. Auch daran besteht kaum mehr ein Zweifel.«
»Verzeiht!« wandte Peter ein, »Paul und ich sind der Überzeugung, daß Jakob schon bald nach seiner Ausweisung erdrosselt wurde.«
»Was macht das für einen Unterschied?« fragte der Richter leicht unwirsch.
»Immerhin den, daß Jakob dann schwerlich der Einbrecher sein konnte.«
»Hm«, brummte der Richter, »um so unsinniger erscheinen mir dann aber auch Eure Verdächtigungen gegenüber den Pütrichs.«
»O nein!« beharrte Peter. »Ich vermute vielmehr…«
»Haltet ein!« gebot Konrad Diener. »Und denkt an unsere Abmachung: Keine voreiligen Schlüsse! Ihr müßt doch auch zugeben, daß nicht einmal gesichert ist, ob der Tod des Flößers mit dem Überfall in Verbindung steht.«
Peter schwieg betreten. Er vermutete es zwar hartnäckig. Aber es stimmte schon: Gewißheit gab es dafür nicht.
»Was nun die Ermordung betrifft«, fuhr Diener fort, »so sollte sie zum einen wie Selbstmord aussehen, während sich andererseits geheimnisvolle Papiere fanden, die offensichtlich
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