Der Wachsmann
wehrte der vornehme Herr entschieden ab. »Geht jetzt und vergeßt nicht: Keine Eigenmächtigkeiten mehr!«
Peter stolperte fast die Treppen hinunter. Er war wütend, daß ihn der feine Herr zuletzt so von oben herab behandelt und ihm die Grenzen seines Standes aufgezeigt hatte. Aber wenigstens kam Leonhart wieder frei.
Als Peter sich dem Rathaus näherte, wurde er auf eine kleine, aber lautstarke Gruppe aufmerksam. Dort hatten die Auswärtigen, Kaufleute und Bauern das Recht, an bestimmten Tagen ihre Lebensmittel feilzubieten. Nahe der Stelle, wo die Straße zur Burg einmündete, lamentierte eine kräftige Bauersfrau. Während sie mit der Rechten heftig gestikulierte, zerrte sie mit der Linken an den Beinen eines Federviehs, das zugleich von einer anderen Weibsperson, die mit beiden Händen Zugriff, beansprucht wurde. Das arme Huhn gackerte entsetzlich, wurde aber vom Kreischen der beiden Frauen noch übertroffen.
»Laß los, du alte Vettel! Ein Pfennig ist mehr als genug für dieses dürre Vieh! Ein Obolus ist schon zuviel.«
»Von wegen, du eingebildete Stadtschnepfe! Das ist mein bestes Huhn und das geht mir nur für zwei Pfennige weg!«
»Ha! So eine Frechheit! Dafür krieg’ ich zwei Pfund vom besten Mastochsen. Schau dir doch an, wie zerrupft dein Prachtexemplar ist. Vor dem läuft jeder Gockel davon.«
»Weil dir schon einer an die Büchse will«, höhnte darauf die Bäuerin. »So was wie dich nehmen wir zum Krähen scheuchen. Und jetzt laß los!«
Sie schlug mit ihrer fleischigen Rechten auf die Finger der Widersacherin, die aufschrie und notgedrungen mit einer Hand vom Huhn abließ, sich dafür aber im strohigen Haar der Landfrau verkrallte. Und plötzlich erkannte Peter in der streitbaren Käuferin Walburga, die kokette Magd aus dem Hause Pütrich. Er schob die Umstehenden, die sich immer zahlreicher drängten, etwas beiseite und zwängte sich nach vorne. Der Gegenstand des Streits war mittlerweile kreischend entflohen. Die Bäuerin hielt Walburgas Hände wie in einem Schraubstock umklammert, so daß diese nur mehr mit den Füßen treten konnte. Sie drohte zu unterliegen, und einem seltsamen Impuls folgend, ging Peter dazwischen.
»Hört auf!«
Während Peter die beiden auseinanderschob, fiel sein Blick plötzlich auf eine zierliche, vornehm gekleidete Dame. Ihr engelhaftes Haar war sittsam unter einer Haube verborgen. Und doch erkannte er sie sogleich: Es war die Tochter des alten Pütrich. Peter stand einen Augenblick wie vom Donner gerührt, und erst die Faustschläge der Marktfrau, die jetzt ihn trafen, brachten ihn in die Wirklichkeit zurück.
»Was mischt du dich ein, du Jungspund? Kümmer dich um dein Tagwerk oder…«
»Gebt Ruhe, Frau! Ich bin Amtsperson. Und nun hütet Eure Zunge!«
Während Peter mit der Rechten die wütende Bäuerin auf Distanz hielt, schielte er mit einem Auge nach der Tochter des Ratsherrn. Ihr zauberhaftes Lächeln verriet ihm, daß er Eindruck auf sie gemacht hatte. Er richtete sich noch eine Spanne höher auf und herrschte die Marktfrau an: »Was ist hier los?«
Noch ehe sie zu Wort kam, schimpfte Walburga: »Dieses Miststück! Sie hat mir…«
Eine energische Handbewegung ihrer Herrin ließ sie verstummen. Diese trat zwei Schritte vor, während ihr Blick unentwegt auf Peter ruhte.
»Ein bedauerlicher Irrtum«, entschied sie sanft. »Nichts weiter.«
»Von wegen Irrtum«, maulte die Bäuerin, die sich betrogen fühlte. »Schaut sie euch doch an!« rief sie jetzt mehr den Umstehenden zu. »Die feine Dame putzt sich heraus und gönnt unsereinem nicht den verdienten Pfennig!«
Einige der Gaffer klatschten lebhaft Beifall.
»Den nimmt mir ja schon der Marktpfleger als Standgebühr ab und der Zöllner fürs Ungeld. Wovon soll ich meine fünf Kinder noch ernähren?«
»Genug jetzt!« unterbrach Peter barsch das Klagelied der Landfrau. »Das Huhn scheint mir mit einem Pfennig gut bezahlt.«
»Jesus! Maria!« kreischte die Bäuerin. »Das ist mein Ruin!«
»Ich nehm’ auch noch ein Maß Äpfel und geb’ Euch noch einen ganzen Pfennig dafür«, bot die Ratsherrentochter versöhnlich an.
Das Geschäft erschien der Bäuerin vorteilhaft, und sie sammelte die grasgrünen Frühäpfel in ein Hohlmaß. Inzwischen hatte ein beherzter Bursche das Huhn eingefangen und brachte es zurück. Walburga griff es sich sogleich und hielt das zerrupfte Beutestück triumphierend fest. Die Bäuerin leerte die Äpfel in den Korb, den ihr die Käuferin hinhielt.
»Legt noch fünf
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