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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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wird der Verstorbene unentwegt beschäftigt, so daß er die Lust verliert, sich an den Hinterbliebenen zu vergreifen. Und genau das ist hier geschehen. Oder warum sonst sollten die Psalmen unvollständig gewesen sein?«
    Er warf Peter einen halb fragenden, halb triumphierenden Blick zu. »Nein, nein, glaubt mir, wer immer die Morde begangen hat, die Psalmen dienen dem Schutz der Lebenden und nichts weiter. Welcher Mörder würde Beweisstücke hinterlassen, die die Verfolger auf seine Spur brächten?«
    Ein Verrückter zum Beispiel, dachte Peter bei sich, sprach aber nur die Sorge aus: »Ändert das etwas an Eurer Einschätzung von Leonharts Schuld?«
    »Nein«, versicherte der Richter. »Ich werde gleich Anweisung geben, den grobschlächtigen Tölpel zu entlassen.«
    Er griff zur Feder, schrieb ein paar Zeilen auf und übergab die Anweisung einem herbeigerufenen Knecht.
    »Nun«, wandte er sich wieder an Peter. »Da Ihr offen spracht, will ich zum Abschluß auch Euch gegenüber offen sein. Durch Boten, die der Rat aussandte, und anderweitige Nachrichten wissen wir nunmehr ziemlich sicher, daß Friedrich und Leopold erneut planen, unserem König die Schlacht aufzudrängen, um ihn vom Thron zu stürzen.«
    »Wann und wo soll das sein?« fragte Peter aufgeregt.
    »Oh, soviel wissen wir nun auch wieder nicht. Es heißt, daß sich der Erzbischof von Salzburg und Friedrich eng zusammengetan haben. Der geistliche Herr ist seit langem unzufrieden über die Situation seiner Exklave zu Mühldorf, die dem bayerischen Unterland aufsitzt wie ein unschöner Pickel einem prallen Dirnenarsch. Es spricht vieles dafür, daß er bestrebt ist, die Verhältnisse zu seinen Gunsten zu bereinigen und daß die Schlacht daher bei Mühldorf zu erwarten ist. Was das bedeutet, mögt Ihr Euch denken.«
    »Ihr meint, es könnte unsere Stadt…?« Peter wagte es kaum auszusprechen.
    »Ganz recht. Zumindest gilt es, auf der Hut und zur Verteidigung bereit zu sein. Ihr werdet nun vielleicht verstehen, daß alles, was die Sicherheit und den Frieden in dieser Stadt gefährdet, zugleich Verrat an unserem König ist. Ich will damit sagen, daß ich keinerlei Umtrieb und Aufruhr mehr dulden werde und jeden, der dazu beiträgt, die Gemüter in dieser Stadt zu erhitzen, streng bestrafen werde. Haltet daher den wilden Haufen dieser Flößer in Zucht, damit ich nicht gezwungen werde, ein exemplum zu statuieren.«
    Der Richter hatte zuletzt mit dem Zeigefinger nachdrücklich auf die Tischplatte geklopft, so daß Peter eilig versicherte: »Gewiß!« Er konnte sich aber doch der Nachfrage nicht enthalten: »Und die Morde, ich meine…«
    »Kümmert Euch nicht darum! Überlaßt es mir und meinen Leuten und tut Ihr nur das, was ich Euch gesagt habe! Ihr könnt jetzt gehen.«
    Peter erhob sich zögernd, als sei er mit dem Gespräch noch nicht zufrieden. »Gestattet Ihr noch eine Frage?«
    »Wenn Ihr’s kurz macht.«
    »Könnte es denn nicht sein, daß die Österreicher statt einer Schlacht einen Anschlag auf den König planen?«
    »Ach, Ihr zerbrecht Euch noch immer den Kopf wegen der fragwürdigen Prophezeiungen dieses Mönchs.« Konrad Diener machte eine wegwerfende Handbewegung. »Vergeßt das Geschwätz! Habt Ihr eine Ahnung davon, was es kostet, ein Heer aufzustellen und zu unterhalten? Glaubt Ihr vielleicht, daß Friedrich oder Leopold sich in Unkosten stürzen, um dann einem Becher Gift oder dem Dolch eines Meuchelmörders die Entscheidung zu überlassen?«
    »Mit Verlaub«, wandte Peter ein, »man munkelt, die Habsburger seien seit ihrer kostspieligen Doppelhochzeit und dem Mißerfolg von Morgarten hoch verschuldet. Vielleicht kommt ihnen da die billigste Lösung gerade recht. Und noch scheint das Heer nicht aufgestellt.«
    Der Richter schüttelte verständnislos den Kopf und bemerkte herablassend: »So kann nur einer sprechen, der nicht von Stand und dem daher die Ehre fremd ist.«
    Er, der selber einem vornehmen Geschlecht entsprang, richtete sich nun zu voller Größe auf und erklärte stolz: »Friedrich mag eitel und Leopold ein Hitzkopf sein. Doch ritterliches Blut fließt in ihren Adern, und ich versichere Euch, daß die Herren nach Standesehre die Entscheidung auf dem Schlachtfeld suchen und nicht gemeine Mittel dafür wählen.«
    Peter spürte förmlich, wie er im Fettnapf zu versinken drohte. Doch zugleich kam ihm eine alte Weisheit seines Oheims in den Sinn, daß oft die schönsten Äpfel von innen heraus faulen.
    »Aber…«
    »Kein Aber!«

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