Der Wachsmann
Ketzer oder Juden die Befreiung von allen Sünden verheißt. Domini canes schimpft man die Brüder, Hunde des Herrn! Und das ist noch zuwenig, sie sind selbst wie Wölfe, die über die Schafe herfallen!«
»Verzeiht!« wandte Paul vorsichtig ein. »Aber sind nicht auch Franziskaner mit der Inquisition…?«
»Ihr habt leider recht«, gab Servatius zu, »und zur Schande meines Ordens muß ich gestehen, daß Konrad von Marburg, der Beichtvater der heiligen Elisabeth, einer der Schlimmsten war. Wenn es der Preis für die Heiligkeit ist, von solch geifernden Narren geleitet zu werden, dann möchte man beinahe darauf verzichten.«
»Ihr glaubt also nicht, daß die Juden etwas mit den Morden zu tun haben?« hakte Peter nach.
»So wenig wie Ihr und ich. Sie sind froh, wenn sie von den Frommen dieser Stadt nichts zu fürchten haben. Ich habe zwar schon viel davon gehört, daß sie zu Paaren getrieben und erschlagen wurden, aber ich habe noch nie vernommen, daß die Juden das Schwert wider die Christenheit erhoben hätten. Und jeder wirkliche Gelehrte weiß, was er den Hebräern an unschätzbarem Wissen zu verdanken hat. Alle anderen aber sind dumpfe Neider oder irregeleitete Schwachköpfe.«
»Dann glaubt Ihr auch nicht, daß sie der ewigen Verdammnis anheim fallen?«
»Einzelne gewiß«, versicherte Servatius, »so wie auch längst nicht alle Christen ins Himmelreich eingehen werden. Aber Paulus erklärt uns im Brief an die Römer, daß Gott alle Menschen zusammengeschlossen hat im Ungehorsam, um sich schließlich aller zu erbarmen.«
»Wir haben Eure Zeit nun lange genug in Anspruch genommen, verehrter Bruder«, stellte Peter fest, »aber könntet Ihr uns vielleicht noch raten, wo Magie am ehesten anzutreffen ist?«
Da lachte Servatius wieder aus vollem Halse und gab zur Antwort: »Überall, meine Freunde.« Und er beschrieb mit seiner Rechten einen weiten Bogen.
»Ihr macht Euch über uns lustig«, argwöhnte Peter.
»Keineswegs! Jeder von uns betreibt auf eine gewisse Art Magie. Was ist sie denn zunächst anderes, als der Glaube an bestimmte Kräfte, die verschiedenen Dingen innewohnen, und die damit verbundene Hoffnung, sich diese Kräfte zunutze zu machen. Seht Euch um und betrachtet die diversen Kräuter in diesem Garten, ein jedes nützlich in seiner Art. Oder denkt an die kostbaren Steine, deren geheimnisvollen Kräften die heilige Hildegard von Bingen, die gewiß nicht im Verdacht des Aberglaubens stand, das vierte Kapitel in ihrer Physika widmete. Manches ist uns leicht zugänglich und einsehbar, viele Kräfte aber wirken im verborgenen, bis sie der Allmächtige in wunderbarer Weise offenbart. Seht hier die Silberdistel oder Eberwurz. Sie ist stachelig und abweisend, und so gehen Mensch und Tier achtlos an ihr vorüber. Als vormals aber im Heer Karls des Großen die Pest ausgebrochen war, da erschien ihm ein Engel im Traum und riet, einen Pfeil in die Luft zu schießen. Am Morgen folgte der Kaiser dem Rat, und siehe da: Die Spitze des Pfeils durchbohrte die Eberwurz, die sich als mächtiges Heilmittel wider die Pest erwies.
Solcherart virtutes occultae sind also vom Schöpfer in die Dinge hineingelegt, gleichsam als magia naturalis, und es ist die vornehmste Aufgabe der Gelehrten, diese geheimnisvolle Magie zu enträtseln und damit Gottes Wirken und seine Weisheit zu preisen. Nehmt stellvertretend für vieles nur den Hopfen, der sich hochragend um diese Stangen dort schlingt. Die reifen Blüten verleihen dem Bier zarte Bitternis und Haltbarkeit und wirken darüber hinaus in wunderbarer Weise gegen vielerlei Gebrechen, wie harter Leib und Verstopfung, Verschleimung der Eingeweide und Durchfall sowie Flechten und Skrofeln. Und mancher von den Oberen hofft«, erklärte Servatius schmunzelnd, »daß sie auch den Trieb in den Lenden dämpfen mögen. Einigen nun ist diese gottgewollte Magie nicht genug und sie schließen den Pakt mit den Dämonen der Hölle. Dies aber ist verruchtes Teufelszeug und magia daemoniaca.
Die Schwierigkeit ist, die Dinge und der Menschen Streben in rechter Weise zu differenzieren, denn worin unterscheidet sich etwa der Exorzismus des Priesters von der Beschwörung des Schwarzmagiers? In nichts, meine Freunde, außer in der Intention. Das rechte Wollen halte ich demnach für ein heilsam Kriterium.
Oder nehmt ein tumbes Bäuerlein, welches entsetzliches Bauchgrimmen und ein arg geblähter Leib zum Erbarmen plagen. Ein kundiger Medicus reicht ihm einen Absud aus Fenchel, Dill und
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