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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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mit einem Atzmann fähig wäre? Und sein Nachfolger, Johannes von Cahors, dieser mißgestaltete Wucherer, bedroht unseren Orden mit dem Stigma der Häresie. Dabei wähnt er sich selbst von Zauberern umgeben und von Dämonen und Wachsbildern bedroht, was nur beweist, daß auch der alte Heuchler damit vertraut ist.«
    Bruder Servatius hatte sich zuletzt regelrecht ereifert, und sein ansonsten so gutmütiges Gesicht war gerötet vor Zorn.
    »Aber der Papst sitzt irgendwo im fernen Avignon«, warf Paul kühl und ungeduldig ein. »Und der Atzmann baumelte nicht in der Kurie, sondern nahe der Isar.«
    »Ihr habt recht«, akzeptierte der Mönch die kaum verhohlene Rüge. »Ich wollte damit nur sagen, daß der Frevel und der Mißbrauch heiliger Dinge oft dort zu finden sind, wo man sie am wenigsten vermutet.«
    »Gilt das auch für Psalmen?« fragte Peter gespannt.
    »O gewiß, gerade für Psalmen, und selbst für das heilige Opfermahl. Die Frevler treiben auch Schindluder mit dem Evangelium und mißbrauchen es zur Wahrsagerei und um vermeintliche Schätze zu finden. Und Berthold von Regensburg, der große Prediger unseres Ordens, hat unentwegt seine Stimme wider das Mortbeten erhoben.«
    »Was ist das?« fragte Paul.
    »Nun, einige Priester, die in Wahrheit schon Diener des Satans sind, feiern die Totenmesse für Personen, die sich noch bester Gesundheit erfreuen, in der Absicht, ihr baldiges Ableben herbeizuführen. Und um den abscheulichen Vorgang zu beschleunigen, legen sie dabei Wachsmänner in der Art, wie Ihr sie nun schon kennt, auf den Altar, gleichsam als Reliquien des Teufels. Dann tun sie noch ein Übriges, was auch von Laien oftmals ohne die heilige Messe so gehandhabt wird, nämlich den hundertachten Psalm zu beten, um das Opfer damit zu verfluchen. Er muß aber rückwärts aufgesagt oder ein ganzes Jahr und neun Tage lang zur Prim und nach der Vesper gesprochen werden und zwar ohne Unterlaß. Und der Betende darf während dieser ganzen Zeit nicht mit dem Verfluchten sprechen, sonst wird der Zauber wirkungslos oder der Fluch fällt gar auf den Verursacher zurück.«
    »Herr im Himmel!« stieß Peter betreten hervor, und die beiden Freunde schauten sich wissend an.
    »Gibt es noch mehr solcher Psalmen?« fragte Paul, der inzwischen dem Mönch wieder ungeteilte Aufmerksamkeit entgegenbrachte.
    »Nun, etliche der heiligen Gesänge enthalten merkwürdige Verwünschungen. Aber oftmals scheinen es auch nur die Klagen eines Geplagten zu sein. Das hundertachte Lied aber gilt als der Fluch-und Rachepsalm schlechthin. Er wird wohl am häufigsten gebraucht – oder besser mißbraucht –, um einen Feind oder unbequemen Widersacher ins Verderben zu stürzen.«
    »Sagt uns, verehrter Bruder«, bat Paul forsch, »wo wir die Urheber solch verwerflichen Tuns finden, damit wir sie vors Gericht zerren, um den Erschlagenen ihren Frieden zu geben.«
    »Ihr findet sie überall und nirgends, denn sie vermeiden es tunlichst, ihr Treiben dem Lichte der Öffentlichkeit auszusetzen. Leider verbergen sie sich nur allzuoft im geistlichen Stand, und sie sind zahlreich in den Häusern der Vornehmen und Reichen, denn wie ich schon sagte: Es geht um Macht und Einfluß. Und vergeßt mir die Weiber nicht, von denen schon der gute Berthold sagte, es würden ihrer weit mehr zur Hölle fahren als Männer, weil sich so viele von ihnen der Zauberei verschrieben hätten. Ihr Beweggrund aber«, schloß Bruder Servatius schmunzelnd, »scheint mir doch eher die Begierde des Fleisches zu sein oder die Liebe oder was immer sie dafür halten.«
    »Und die Juden?« fragte Peter vorsichtig.
    »Auch sie betreiben den höllischen Zauber, aber gewiß nicht mehr als die fromme Christenheit.«
    »Zu Unserer Lieben Frau predigt einer, der die Juden für die Ursache allen Übels hält und ihre Vertreibung fordert. Er hat großen Zulauf.«
    »Wer schwatzt solchen Unsinn?«
    »Wir kennen seinen Namen nicht. Ein Dominikaner soll es sein.«
    Bruder Servatius sprang von der Steinbank auf, als habe ihn eine Viper gebissen, und sein Gesicht verfärbte sich zunehmend ins Dunkelrot. »Oh, ich ahne, woher der Köter kommt, der hier lauthals kläfft. Es wird dieser verdammte Theoderich sein aus Sankt Blasien zu Regensburg, der sich noch immer im Heiligen Krieg wider die Ketzerei wähnt und in seiner Wut auch nicht vor falschen Anschuldigungen und übler Nachrede zurückschreckt. Fehlt nur noch, daß er wie die Pfennigprediger den Ablaß verkündet und für jeden erschlagenen

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