Der Wachsmann
neben dem Gemächt«, verdeutlichte Paul grinsend, indem er seine beiden Fäuste wie zwei prächtige Hoden auf den Schoß legte.
Peter warf ihm einen strafenden Blick zu und ergänzte: »Es fehlten allerdings die Nägel.«
Der Mönch ließ sich durch Pauls Anspielung auf die Genüsse des Fleisches nicht beirren. »Hm, denken wir zunächst an die einfachste Möglichkeit: Die Nägel gingen schlichtweg verloren. Aber irgend etwas stört mich daran. Hatte denn der Tote auch weitere Verletzungen?«
»Meines Wissens nicht«, verneinte Peter.
»Dann paßt dies auch nicht, oder der Unglückliche wäre gleichsam noch vor der Erfüllung des Fluches gestorben, was wirklicher Zauberei nicht ähnlich sieht.«
»Meint ihr«, fragte Peter weiter, »die Zahl Fünf, das heißt die Zahl der Nägel, könnte lediglich ein Hinweis sein auf die Zahl der Morde? Drei waren es bisher, so fehlten noch zwei.«
»Nein, nein«, wehrte der kundige Mönch ab. »Das halte ich für ausgeschlossen. Denn dieser Zauber ist etwas sehr Persönliches und gilt allein dem armen Menschenkind, dem es von den abscheulichen Unholden zugedacht wird.«
»Aber könnte die Fünfzahl nicht auch eine geheime Bedeutung enthalten, als Symbol, eine Art Kreuz, Stern oder ähnliches?« Paul war so stolz gewesen auf seinen Vergleich mit den Wundmalen des Heilands vor dem Richter und wollte es nun wissen.
»O weh!« seufzte da Bruder Servatius. »Ihr wißt nicht, was Ihr von mir verlangt, denn zahllos sind die Bedeutungen und deren Auslegungen. Ich brauche Euch wohl nicht erst das Kreuz als Sinnbild für das Leiden und Sterben unseres Herrn und Erlösers erklären. Aber es gibt uns auch ein Bild von der Welt, denn es verkörpert in seiner stehenden Linie die Manneskraft und liegend die weibliche Empfängnis, und indem es die Welt teilt, führt es uns zur Vierzahl und damit zu höchster und vollkommener Ordnung, die Ihr zum Beispiel in den vier Evangelien und den Elementen, den vier Himmelsrichtungen und den Flüssen des Paradieses findet. Allein, was hat die Vollkommenheit mit dem schrecklichsten aller Verbrechen zu tun, dem Morden? Es sei denn, jemand spielte damit auf die vier himmlischen Reiter der Apokalypse an, die dereinst kommen werden, um ein Dritteil der Menschen zu vernichten.«
»Aber die Fünfzahl an sich…«, bohrte Paul hartnäckig.
»Ihr glaubt, das Rätsel im Zahlenspiel zu lösen?« erwiderte Bruder Servatius lachend. »Es wird Euch mehr verwirren, als Klarheit bringen, denn die Fünf ist zunächst eine Quelle der Unruhe und des Aufruhrs, die die kosmische Ordnung bedroht. Und sie ist weniger vollkommen, wie denn auch der heilige Augustinus den Mangel an den fünf Büchern Mose erkennt und daher den Pentateuch in seiner Bedeutung unter die vier Evangelien stellt. Und dennoch durchwirkt die Fünf die belebte Natur bis in ihre schönsten Blüten. Sie enthält den Widerstreit und Gegensatz in sich und ist zugleich Ausdruck inniger Vereinigung, denn die männliche Drei und die weibliche Zwei sind in ihr unteilbar verbunden.«
»Aber wenn ich Euch recht verstehe«, resümierte Peter, »dann seid Ihr nicht der Ansicht, daß Zahl und Zeichen in unserem Fall eine Rolle spielen.«
»Zumindest nicht so, daß es sich mir erschlösse«, bestätigte der Franziskaner.
»Aber vermögt Ihr uns wenigstens einen Hinweis darauf zu geben, wer solch grausige Tat vollführt?« Paul konnte nur mühsam seine Enttäuschung verbergen. Der gelehrte Herr schien ihm auf einmal so wenig brauchbar Konkretes von sich zu geben, daß er fast schon den Besuch bereute.
»Ihr könntet es gewesen sein, ich, sogar der Heilige Vater«, bemerkte Servatius achselzuckend. »Man sieht es den Menschen nicht an und keiner, der sich der Zauberei verschrieben hat, trägt deshalb das Kainsmal auf der Stirn.« Er stutzte und sagte zu Peter: »Ihr seht mich so ungläubig an, als hätte ich Euch die Schätze der Königin von Saba versprochen oder wider den Herrn gelästert.«
Dann lachte er plötzlich lauthals: »Ich verstehe, der Heilige Vater ist Euch sauer aufgestoßen.« Leise und fast ein wenig bedrückt, fuhr er fort: »Ich wollte, ich spräche im Scherz, aber es ist bittere Wahrheit, daß mit Bonifaz VIII. ein Diener des Teufels den Stuhl Petri usurpierte. Zahlreich sind die Berichte über Anrufungen des Satans, und seinen Vorgänger ließ er durch seinen Neffen töten, der dem gefangenen Greis einen Nagel in die Schläfe trieb. Glaubt Ihr nicht, daß solch ein Teufel auch der Zauberei
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