Der Wachsmann
im Gegensatz stand zu dem, was man ihn bisher gelehrt hatte.
»Aber die heilige Kirche und die Männer der Inquisition verbieten doch Zauberei und Magie«, hakte er nach. »Ist das nicht gefährlich?«
»Pah!« Der dunkle Fremde schickte die Magd mit einem Klaps auf ihr dralles Hinterteil wieder fort. »Ihr dürft nicht alles glauben, was die Pfaffen, diese Heuchler und Narren, verbreiten. Was meint Ihr wohl, wie oft der Leib des Herrn, selbst ja schon durch Zauberei verwandelt, nun seinerseits einem Zauber dient? Oh, ich könnte Euch vieles berichten von ehrwürdigen Brüdern, die der Eucharistie hohnlachen und mit geweihten Hostien schwunghaften Handel treiben oder sie als Entgelt für Liebesdienste den Dirnen überlassen, womit diese ihre Freier an sich binden. Die Kirche, mein Freund, ist ein Zauberladen, und ihr oberster Hüter will nur seine Macht nicht teilen.«
Während Peter der Mund offenstand, zog der unheimliche Erzähler seinen Dolch und machte sich schmatzend über den Braten her.
»Ha, und was das Beste ist…« – er schlug Peter kumpelhaft auf die Schulter, wie um ihn wachzurütteln –, »manchmal geht die Macht der Pfaffen arg daneben. Als sie Peter von Abano erneut den Prozeß machen wollten, da stahl sich dieser durch natürlichen Tod einfach fort. Doch was glaubt Ihr, ließen sich die erbosten Inquisitoren nun einfallen? Sie verurteilten selbst den Kadaver noch zum Scheiterhaufen. Weil aber seine Freunde den Leichnam gut verbargen, konnten die Eiferer den Meister nur in effigie verbrennen, sein Abbild sozusagen. Ist das vielleicht kein übler Zauber?«
Der Erzähler schlug sich prustend vor Lachen mit den fetttriefenden Händen auf die Schenkel. Peter konnte nur verhalten mitlachen, betrachtete vielmehr mit einem Anflug von Schaudern und Furcht das grinsende Gesicht seines Gegenübers, das plötzlich reichlich diabolisch auf ihn wirkte und etwas von den Fratzen der Chimären annahm, die als Wasserspeier die Traufen der neuen Kathedralen zierten.
Als schien er Peters aufkommende Zweifel zu ahnen, unterbrach der Fremde abrupt sein höllisches Gelächter: »Was bin ich doch für ein Narr! Verzeiht. Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt und plappere von solch unheiligen Dingen. Ihr müßt mir ja mißtrauen. Ich bin Friedericus aus Nürnberg, Doktor der Rechte und Liebhaber der Mathematik.« Er wischte die fettige Hand an seinem Rock ab und streckte sie Peter mit einem entwaffnenden Grinsen hin. Der ergriff sie mit fast ehrfürchtigem Staunen, und die zuletzt als lästerlich empfundenen Reden erschienen ihm nun eher als kritische Erkenntnisse eines tiefgründigen Geistes.
»Ich bin Peter aus München.«
»Peter – welch wunderbare Fügung. Ihr tragt den Namen meines Lehrmeisters und ähnelt ihm auch sonst in mancherlei Weise. Ja, ich glaube, Ihr wäret für das Studentenleben geschaffen. Ihr habt das einzig kluge Gesicht inmitten all dieser Tölpel, und es ist eine Lust mit Euch zu disputieren. Ich komme eben aus Bologna, wo ich meine Studien vervollkommnete und bin nun auf dem Weg in meine Heimat, um mich dort als Advocatus niederzulassen. Aah, Bologna, welch wunderbare Stadt: Sonne, köstlicher Wein und willige Weiber.« Sein mitreißendes Lachen steckte nun auch Peter an, der es insgeheim schon fast bedauerte, daß er seine vormaligen Studien nicht an einer Universität fortgesetzt hatte.
»Ich ging erst nach Paris mit dem redlichen Vorsatz, mich dort den Reihen der Kleriker anzuschließen. Doch ich sage Euch freimütig, deren scholastisches Gezänk und endlose metaphysischen Dispute ermüden jeden wachen Geist, und so ging ich nach Montpellier und wandte mich dem Studium der Rechte zu. Dort hörte ich erstmals von der Weisheit arabischer und jüdischer Gelehrter, und auf der Suche nach den ewigen Wahrheiten zog es mich nach Toledo und Salamanca. Ihr ahnt nicht, welch erschütternde Geheimnisse sich mir dort erschlossen. Die wahren Erkenntnisse über den Ursprung und das Wesen der Dinge, das eigentliche Wissen, glaubt mir mein Freund, das ist seit Anbeginn der Zeiten im Besitz der Hebräer. Sie hüten es freilich so eifersüchtig wie der Papst die Apokryphen, und nur wenigen ist es gegeben, in die tiefen Geheimnisse einzudringen.«
Der gelehrte Doktor lehnte sich mit vor Stolz geblähter Brust zurück und ließ die Ungeheuerlichkeit seiner Worte wirken.
»Ihr, Ihr meint, das Volk, das unseren Herrn Jesus mordete, ist klüger als… aah« – Peters Gesichtszüge entspannten sich
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