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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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Kapelle in Haarkirchen stellte Perchtold verwundert fest, daß Peter schweigsam vom Wagen stieg und mit den Blumen hinter dem Kirchlein verschwand. Er folgte ihm unauffällig und sah, wie Peter ein schlichtes Grab schmückte und sich dabei heimlich über die Augen wischte.
    »Nicht einmal hier durften sie ungestört zusammen sein«, knurrte Peter vor sich hin. Die Welserin hatte verfügt, daß Heinrich Barth im Kirchhof zu St. Peter in München beigesetzt wurde.
    »Ehre! Stand! Kaufmannswürde! Verlogenes Pack! Die sollen mich kennenlernen!« zischte Peter, während er wütend zum Wagen zurückging und alsbald auf die Pferde eindrosch, als würden sie vom Leibhaftigen verfolgt.
    Nie würde er den Tag vergessen, als er erstmals in München erschien, um seine Rechte wahrzunehmen und sein Erbe einzufordern. Wie einen Aussätzigen hatten sie ihn behandelt, die spitzgesichtige Kaufmannswitwe und ihr aufgeschwemmter Sohn. Er gehöre nicht hierher, und man wolle ihn nicht in der Familie haben. Als Peter den rechtmäßig besiegelten Vertrag vorzeigte, erklärten sie kühl, es fände sich sicher ebenso rasch ein Schreiben, das ihn enterbe und aller angeblichen Rechte enthebe. Und als Peter mit hilfloser Unschuld darauf pochte, daß die Welserin doch nun gewissermaßen seine Mutter sei, ging deren Schroffheit in schrille Tobsucht über, und ihr feister Sohn drängte das ungebetene Familienmitglied zur Pforte hinaus. Da es ihm aber gottlob zugleich peinlich war, und er immerhin um Ruf und Ansehen fürchtete, schlug Michael einen Kompromiß vor. Peter dürfe aus begreiflichen Gründen nicht erwarten, daß man ihn ins Geschäft aufnehme. Auch könne man derzeit – und des Kaufmanns Miene bewegte sich dabei zwischen höchstem Jammer und übler Verschlagenheit – keine größeren Geldmittel aus dem Handelsvermögen abziehen, da alles gebunden sei und das Geschäft sonst ruiniert werde. Man könne ihm aber eine jährliche Rente in bescheidener Höhe zukommen lassen, wenn er als Entgegenkommen dafür auf sämtliche Rechte verzichte. Da Peter damals nur die Wahl hatte zwischen dem Bettel und der Landstraße, verzichtete er auf Stolz, den er sich nicht leisten konnte und hielt statt der Taube auf dem Dach den Spatz in der Hand fest. Vergessen aber hatte er die Schmach bislang nie.
    Perchtold nutzte die Erfahrung der Hinfahrt und hielt es für besser, seinen Gefährten eine Zeitlang nicht anzusprechen, während dieser mit düsteren Erinnerungen und aufkommender Wut in seinem Inneren rang. Erst hinter Neufahrn faßte er sich ein Herz.
    »Du, Peter.«
    »Hmmh.«
    »Wie wird man denn Ritter?«
    Der Befragte stutzte kurz, dann lachte er schallend. »So hat es bei mir auch angefangen. Aber glaub mir, Bub, das sind nur die Geschichten des Alten. Das Leben eines Herrn Ritters ist alles andere als herrlich. Im Winter friert er sich auf seiner kalten Burg den Arsch ab, und im Sommer schwitzt er in seinem Eisenkleid wie das Schaf im Winterpelz. Wir, wir gehören in die Stadt. Dort liegt die Zukunft, und dort fahren wir jetzt auch ganz schnell wieder hin.«
    Perchtold war davon noch lange nicht überzeugt, fürs erste aber einfach froh, daß sein Weggefährte wieder guter Laune war.
    Zwischen stolzen Rotbuchen und alten Eichen, unter denen die Schweine der umliegenden Dörfer nach den Früchten des letzten Herbstes scharrten, lagen vereinzelt Äcker eingestreut. Plötzlich roch es brandig, und die Luft war von Rauch erfüllt. Gleich darauf querten zwei finster aussehende Gesellen den Hohlweg. Doch ihre Absichten waren zum Glück nicht so düster wie ihr Aussehen. Es waren Köhler, die nach Weikenried wollten und es dankbar annahmen, auf der Ladefläche mitzufahren. Bald erreichten sie die Stelle, an der sich ihr augenblicklicher Weg in Richtung Kloster Schäftlarn mit der belebten Landstraße kreuzte, die von München nach Süden führte. Zwei Gehöfte bildeten dort die Ansiedlung Weikenried, deren einziger Vorzug eine gut besuchte Taverne war. Peter hielt es für eine gute Gelegenheit, den Pferden nach der gehetzten Fahrt eine Rast zu gewähren und sich auch selbst einen Trunk zu gönnen.
    Während Perchtold noch die Pferde mit Wasser und Heu versorgte, trat Peter bereits in die verräucherte Gaststube ein. Soldaten saßen beim Würfelspiel, Fuhrleute stärkten sich, und ein paar Gestalten mit zweifelhaftem Aussehen und ebensolchem Ruf lungerten herum. Bei zweien saß die Kappe ziemlich schief, was zum einen auf ein fehlendes Ohr schließen

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