Der Wachsmann
könnt dies freilich auch aus den Zahlen ersehen: Ihr stimmt mir doch zu, daß wir am 24. Dezember die Geburt unseres Herrn feiern. Der Dezember aber ist der zwölfte Monat des Jahres.«
Er kritzelte die Zahlen mit der Kohle auf den Tisch.
»Nehmt nun die Quersumme… Ihr könnt doch rechnen, oder? Verzeiht, wie dumm von mir! Aber man trifft nicht alle Tage einen so gewitzten Burschen wie Euch. Als Quersumme erhaltet Ihr also die Neun. Das ist aber nichts anderes als dreimal die Drei. Und bedenkt Ihr’s recht, dann erschließt sich Euch damit der dritte Monat des Jahres 33 als Zeitpunkt des Todes unseres Herrn. Ja, und nehmt Ihr die Neun für sich, so habt Ihr auch noch die Stunde, zu der er seinen Geist aufgab. Ihr seht, Zahlen offenbaren uns die größten Geheimnisse.«
Peter war tief beeindruckt und registrierte kaum, daß der Doktor mit den seherischen Gaben frisches Bier bestellt hatte, um sich für weitere Enthüllungen zu stärken.
»Oder betrachtet das Schicksal Caesars. Ihr wißt, wen ich meine?«
Peter nickte nur in gespannter Erwartung.
»Das Datum seiner Geburt ist uns als dreizehnter Tag des siebten Monats im Jahre 100 überliefert. Da es aber noch vor dem Neubeginn der Zeiten durch die Menschwerdung Christi liegt, müßt Ihr die Summe aus Tag und Monat vom Jahr abziehen. Das ergibt achtzig bzw. acht, was nichts anderes ist als zweimal die Vier. Und im Jahre 44 hauchte Caesar unter den Dolchen der Verräter sein Leben aus. Schier unfaßbar aber ist, daß die Jahreszahl 100 vermindert um das Jahr 44 exakt die Zahl der 56 Stiche wiedergibt, die Caesars Eingeweide zerfetzten.«
Peter fröstelte, obwohl die Luft in der Taverne aufgeheizt und stickig war. Offenbar sah er schon etwas angegriffen aus, denn der Meister der Zahlen bot ihm gönnerhaft einen Schluck Bier an, ehe er sich anschickte, die nächste Ungeheuerlichkeit zu enthüllen.
»Ihr habt von Richard Löwenherz gehört, Eroberer von Akkon und Vorbild an Mut und Tapferkeit für die gesamte Ritterschaft des christlichen Abendlandes?«
Peter nickte abermals.
»Es heißt, daß er am achten Tag des neunten Monats im Jahre unseres Herrn 1157 in diese Welt kam. Bildet die Quersumme und Ihr erhaltet einunddreißig. Nehmt dies zur Jahreszahl, so habt Ihr 1188. Da aber solch außergewöhnliche Persönlichkeiten der Menschheit nur alle hundert Jahre geschenkt werden, müßt Ihr die Jahrhunderte doppelt zählen. Fügt also nochmals elf hinzu und ihr erhaltet 1199, das Jahr in dem der große König vor Chalus den frühen Tod fand.«
»Woher nur wißt Ihr dies alles?« fragte Peter in ehrfürchtigem Staunen.
»Zahlen, mein Freund, das Spiel mit den Zahlen und ein wenig Wissen um die Taten der Menschheit, das ist alles.«
In einer abgelegenen Ecke seines Verstandes regte sich hie und da noch ein winziger Zweifel, und Peter schien es mitunter, als gebrauche der Doktor die verschiedenen Rechenoperationen ein wenig beliebig und keiner strengen Gesetzmäßigkeit folgend. Doch andererseits waren seine Schlußfolgerungen so einleuchtend, die Ergebnisse stimmig und die Tiefe der Zusammenhänge so erdrückend, daß Peter jeglichen Zweifel zugunsten aufrichtiger Bewunderung aus seinem Herzen verbannte.
»Ich weiß nicht, wieviel ich Euch zumuten darf«, fuhr Friedericus im Flüsterton fort, »denn manchmal ist die Wahrheit kaum zu ertragen. Ich fürchte nämlich, auch unser Herr König ist in Gefahr.«
»Wie kommt Ihr darauf?« Peter stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben.
»Die Zahlen sagen es mir in schrecklicher Klarheit. Sein Leben ist bestimmt von Ziffern, die allesamt Unglück bringen. Und Glück hat er ja bisher wahrlich nicht bewiesen. Es scheint eher so, als klebe ihm anstatt des Heiltums eines wahren Königs das Pech an den Fersen.«
»Aber wieso denn?« Jetzt regte sich in Peter doch ernsthafter Widerspruch. »Hat er denn nicht in Gammelsdorf einen großartigen Sieg errungen?«
»Großartig nennt Ihr dies? Er schlug die Schlacht am neunten Tag des elften Monats im Jahre 1313.« Friedericus kritzelte das Datum groß auf den Tisch.
»Seht Euch die Ziffern an: Die Neun, die Elf und zweimal die Dreizehn. Neun ist die Lieblingszahl der Dämonen, und neun Kreise hat die Hölle. Elf und dreizehn aber sind die Unglückszahlen schlechthin, weil sie die Harmonie zerstören und die Vollkommenheit der Zehnzahl der Göttlichen Gebote und die heilige Zwölfzahl der Stämme Israels und der Apostel überschreiten. Nennt Ihr das etwa Glück?«
Die
Weitere Kostenlose Bücher