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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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Rücken zuwandten, huschte er durchs Scheunentor und kauerte sich hinter locker geschichtete Strohballen. Durch einen Spalt erspähte er jetzt auch den zweiten Mann. Es war der dicke Mistkerl, der ihn getreten hatte. Er hielt einen Beutel in der Hand und überschlug hastig den Inhalt. Schließlich reichte er dem Riesen ein paar Münzen.
    »Hier, dein Anteil.«
    »Das ist nur die Hälfte«, protestierte der baumlange Kerl lauthals. »Das war so nicht ausgemacht.«
    »Du hast auch nur halbe Arbeit geleistet, und mein Herr duldet keine Stümperei.«
    »Zum Teufel! Man hat ihn schließlich noch erwischt und ihm das Licht ausgeblasen.«
    »Schrei nicht so. Muß auch noch jeder hören, daß gemordet wurde?«
    Perchtold hatte sich inzwischen soweit ins Stroh hineingearbeitet, daß ihn der Staub und zwei kleine Halme gefährlich in der Nase kitzelten. »Ha – ha…« – oh, lieber Gott, nur jetzt nicht – »ha – ha…« heiliger Nikolaus, hilf mir! Sie dürfen mich nicht entdecken. Perchtold drückte die Zunge gegen den Gaumen und preßte die Nase zusammen, so fest er konnte. Und schließlich wurde aus dem gefährlichen Nieser nur ein heftiges Schnauben.
    »Was war das?« Der Riese reagierte sofort mit dem Instinkt eines Raubtiers und fuhr herum. Der andere bedeutete ihm, sich ruhig zu verhalten, und ging zum Tor, um hinauszuspähen.
    »Nichts. Wahrscheinlich nur die Pferde. Aber ich sag’ ja, du sollst leise sein.« Perchtold bereute seine Neugier und wußte nicht, ob er besser zu Stein erstarren, bis die beiden Männer gegangen waren oder gleich versuchen sollte, sich lautlos zu verdrücken. Da er vor Schreck noch so gut wie gelähmt war, entschied er sich fürs erstere.
    »Ihr habt nicht zufällig Lust auf ein kleines Spielchen?« Friedericus sah Peter lauernd an, während er die Würfel in der hohlen Hand schüttelte.
    »Nein, eigentlich nicht«, wehrte Peter ab, »erzählt mir lieber noch ein wenig von Euren reichen Erfahrungen.«
    »Ah, stets wißbegierig. So muß ein echter Studiosus sein. Ihr könntet es weit bringen. Nun seht, schon Robert Grosseteste, der weise Lehrer Roger Bacons, vertrat die Ansicht, daß wahre Erkenntnis in dieser Welt einzig auf der Macht der Mathematik beruhe. Und Raimundus Lullus, der überzeugt war, daß sich jegliche Logik auf eine mathematische oder symbolische Formel zurückführen ließe, vermittelt uns in seiner Ars magna eine wunderbare Methode, um die Geheimnisse der Welt zu begreifen und die Heiden damit zu bekehren. Ihr müßt nur alle Grundprinzipien menschlichen Denkens auf Würfel oder Kreise schreiben, und indem Ihr sie gegeneinander verschiebt und stets neu kombiniert, seid Ihr in der Lage, mit Hilfe mathematischer Gleichsetzungen alle Wahrheiten des Christentums zu beweisen.«
    Peter fragte sich einen Augenblick lang, ob es die Vorsehung oder göttliche Fügung war, die ihn den Weg mit dieser Quelle des Wissens kreuzen ließ oder ob er sich schon meilenweit auf dem direkten Pfad zur Hölle befand. Doch wer so beredt von den Wahrheiten des Christentums zu sprechen wußte, der konnte schwerlich den falschen Weg weisen. Peter erlag erneut der Faszination und hing förmlich an den Lippen des Doktor Friedericus.
    »Raimundus war aber auch ein ausgezeichneter Kenner der hebräischen Kunst. Wie ich schon sagte: Den Zahlen und Buchstaben wohnt eine geheime Kraft inne, wodurch der Allmächtige selbst den Menschen die Geheimnisse seiner Schöpfung offenbart. Der Schlüssel hierzu liegt in den Schriften der Kabbala, die der Engel Rasiel schon dem Adam übergab. Über Salomo, der sich mit dem Wissen die Welt und die Dämonen der Hölle untertan machte, kamen die Schriften auf die Juden unserer Tage. Sie ordnen den Buchstaben Zahlen zu, und indem sie die Wörter in Zahlen und Zahlen in Wörter verwandeln, schaffen sie erstaunliche Verbindungen und enträtseln so den Bau der Welt, der Engel Namen und letztlich das Wesen Gottes. Aber ich will Euch ein paar praktische Beispiele davon geben, was uns Zahlen und Astrologie verraten.«
    Der Doktor trank zunächst den Krug leer, winkte der Magd, entnahm der Feuerstelle ein Stück Holzkohle und setzte sich dann ganz eng neben Peter, um beinahe im Flüsterton das Gespräch fortzusetzen.
    »Cecco d’Ascoli, Astrologe am Hofe des Herzogs von Kalabrien und Magister der Universität Bologna – ich nenne ihn einen Freund –, erstellte das Horoskop Christi und erkannte aus der Konstellation der Gestirne, daß der Kreuzestod unvermeidlich war. Ihr

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