Der Wachsmann
da dachte ich…«
»Aha«, unterbrach ihn jetzt Peter streng. »Mein lieber Perchtold, ich fürchte, du bist nicht nur ein kleiner Dieb, sondern auch ein großer Schwindler. Das wird deiner Mutter gar nicht gefallen.«
»Ich hab’s einfach mitgenommen«, bekannte der Ertappte reumütig. »Aber nur«, beeilte er sich zu versichern, »weil der Kerl zuvor so gemein war.« Und Perchtold erschien es nun am günstigsten, zu seiner Entlastung die ganze Geschichte zu erzählen und auch wie er schließlich beim Hinauswischen das Säckchen, das dem Dicken aus dem Rock gefallen war, an sich gerissen und entwendet hatte. »Ich wollt’ ihm nur einen Streich spielen, ehrlich.«
»Das hat schon mancher Dieb gesagt, als ihm der Henker den Strick um den Hals gelegt hat.«
Der arme Perchtold schluckte ganz verängstigt, so daß Peter sich genötigt sah, die Stimmung wieder aufzuheitern. »Nun«, sagte er lachend, »da bin ich ja gerade rechtzeitig gekommen, um einen kleinen Dieb zu retten.« Er stieß dem Jungen mit dem Ellbogen in die Seite und grinste: »Denen hast du’s aber gegeben, du Schlingel.«
Perchtolds Miene entkrampfte sich, und helles Lachen drückte jetzt seine Genugtuung über die gelungene Rache aus.
Nach einer Weile fragte Peter nachdenklich zurück: »Sag mal, wie sah dieser Riese doch gleich aus? Beschreib ihn mir noch mal.«
Der Junge versuchte, sich genau zu erinnern. Er hatte keine Namen gehört. Aber aufgefallen waren ihm ganz besonders die ungeheure Größe und die seltsam kehlige Sprache.
»Es könnte vielleicht passen«, murmelte Peter vor sich hin. »Aber dann… o lieber Gott…« Wenn seine Vermutung zutraf, dann waren sie wahrscheinlich in weitaus größerer Gefahr gewesen, als er je geahnt hatte. Einerseits ärgerte er sich, daß er Roland – denn um keinen anderen konnte es sich handeln – nicht gesehen hatte, um ihn dem Richter und seinen Knechten beschreiben zu können. Andererseits konnte er auf eine Begegnung mit ihm gut verzichten. Aber vielleicht war er ihm schon… der Niederschlag vorhin… ob es dieser Roland war? Nein. Dann wäre er jetzt vermutlich Fischfutter oder würde im Wald vergammeln, nur nicht nach München zurückkehren.
»Du, Peter!« unterbrach der Junge die Überlegungen.
»Ja, mein Freund. Was gibt’s?«
»Darf ich das Siebel behalten?«
»Siegel, Perchtold, Siegel. Und ob du’s behalten darfst? Hm, ich weiß nicht recht. Zeig’s noch mal her!«
Es war ein schönes Stück, wenngleich es an manchen Stellen schon etwas angeschrammt und zerkratzt war. Auf einem kunstvoll gearbeiteten Thron saß ein ernst blickender bärtiger Mann mit einer zierlichen Krone auf dem Haupt. In der Linken hielt er eine Kugel mit einem Kreuz darauf, in der Rechten ein langes Zepter. Den Rand umlief ein Band mit einer Inschrift. Aber Peter konnte sie bei dem Geschaukel und Gerumpel des Wagens kaum entziffern. Dennoch hatte er den Verdacht, daß es das Siegel einer hochgestellten Persönlichkeit war, und er fragte sich, was ein feister Widerling in einer zwielichtigen Schenke damit zu schaffen hatte.
»Ich fürchte«, dämpfte Peter die Erwartungen seines kleinen Freundes, »es gehört einer wichtigen Person. Wahrscheinlich haben es schon die Galgenvögel in Weikenried geklaut. Ich glaube, es wäre Unrecht, wenn wir es einfach behielten, und vielleicht würden wir sogar dafür bestraft. Ich schlage vor, daß ich’s dem Richter zeige und ihn frage – natürlich ohne dich zu verraten«, flocht er augenzwinkernd ein. »Und wenn er zustimmt, darfst du’s gerne behalten.«
Peter ließ das Siegel wieder in den Lederbeutel gleiten und steckte diesen in sein Wams zu den Pergamenten, um ihn dort zu verwahren. Die Pergamente – sie waren fort! Verdammt! Deshalb war sein Wams zerrissen. Man hatte ihn durchsucht und dabei offenbar die Schriften entwendet.
Peter fluchte wie ein Rohrspatz, wobei ihn Perchtold bewundernd ansah.
»Das sagt Mutter auch immer, wenn sie wütend ist«, grinste er.
Doch Peter war gar nicht zum Grinsen zumute. Die steile Abfahrt des Sendlinger Berges spiegelte treffend seine Gemütslage wider. Nicht nur, daß er in der Mordsache Jakob kaum einen Schritt vorwärtsgekommen war, er hatte ganz im Gegenteil immer mehr das Gefühl, daß er sich auf einen Abgrund zubewegte.
Kurz vor München beobachtete Perchtold wieder die Vögel, und in Erinnerung an seinen Fehlschluß bei der Ausfahrt alberte er vergnügt: »Sieh mal, Peter, die vielen Adlerkrähen!«
Doch Peter
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