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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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wohl gar kein Zuhause mehr.«
    »Brauchst du nicht, Agnes«, beschwichtigte Paul. »Ich hab’ eben zwei Zuhause.«
    »Aber du trinkst zuviel.«
    »Hab’ doch gestern Erkundigungen einziehen müssen. Da ist’s halt nötig, auch ein bisserl was zu trinken.« Die intensive Befragung der Venustöchter erwähnte er vorsichtshalber nicht.
    »Soso, Erkundigungen im Henkerhaus. Da wird schon was Rechtes dabei rauskommen. Hast du gefragt, ob Hängen schmerzloser ist als Totsaufen?«
    Paul überging ihren Sarkasmus und fragte betroffen: »Woher weißt du?«
    »Nun, Paul«, erklärte sie schmunzelnd, »ein Wirtshaus ist eben wie ein Taubenschlag. Laufend kommen und gehen neue Botschaften und nicht immer die besten.«
    Und wie um sie zu bekräftigen, flog die Tür auf und ein Junge stürzte atemlos auf Paul zu und brüllte:
    »Der Hiltpurger schickt mich… sollt sofort zur Lände kommen… was passiert… schnell, schnell!«
    Der Bursche verschluckte vor Aufregung ganze Worte und war auch schon wieder draußen, um ja nichts zu versäumen, bevor ihn der verdutzte Empfänger der Botschaft noch weiter befragen konnte.
    Drei Dinge haßte Paul an einem verkaterten Morgen wie der Teufel das Weihwasser: Lautstärke, die Wörtchen »schnell« oder »sofort« und unliebsame Überraschungen. Das Bürschchen war somit dreifach in den Fettnapf getreten und tat gut daran, gleich wieder zu verschwinden.
    Trotzdem blieb die Frage, was so dringend war, daß man nach ihm schickte. Agnes drängte ihn und schob ihn von der Bank: »Nun geh schon! Wird wohl was Wichtiges sein. Vielleicht braucht jemand dringend Hilfe.«
    Paul fügte sich ins Unvermeidliche, nicht ohne beim Hinausgehen zu brummeln: »Warum immer ich? Der Peitinger, der pflichtvergessene Kerl drückt sich wieder, und der Herr Peter fährt spazieren. Pest und Hölle, so ist’s recht!«
    Als Peter langsam zu sich kam, und der Schleier vor seinen Augen sich allmählich hob, blickte er in die verheulten Augen und auf die triefende Rotznase Perchtolds.
    »Gott sei Dank, du lebst!« jubilierte der zu Tode erschrockene Knabe.
    »Tu ich das?« fragte der Wiedererwachte zweifelnd und faßte sich an den Schädel, den er gespalten wähnte. »Mein Kopf brummt wie ein Bienenkorb. Was ist passiert?«
    »Ich weiß nicht, Peter«, sprudelte der Knabe aufgeregt hervor. »Kurz nachdem du weg warst, ist ein Reiter aufgetaucht. Er hat so schwarz ausgesehen, wie ein Teufel. Ich hab’ Angst bekommen und mich versteckt. Der Mann hat erst unseren Wagen untersucht und ist dir dann nachgegangen. Und als er zurückkam, ist er ganz schnell davongeritten. Nur du bist ewig nicht gekommen. Da hab’ ich dich gesucht.«
    Peter betastete sorgfältig seinen Kopf und fühlte am Hinterhaupt eine mächtige Schwellung. »Scheint doch zu stimmen«, bemerkte er augenzwinkernd zu Perchtold, »was Bruder Guntram früher immer gesagt hat, daß ich nämlich einen ziemlichen Dickschädel hätt’.«
    Die beiden fielen sich lachend in die Arme. Dann rappelte sich Peter auf und quälte sich, von seinem jungen Freund nach Kräften gestützt, den Hang hinauf. Wenigstens war das Fuhrwerk nicht geklaut. Peter gab bereitwillig die Zügel ab, und Perchtold lenkte das Gefährt unter dem schützenden Blätterdach hervor wieder auf die Straße. Das Rattern und Stoßen des Wagens dröhnte wie Teufelsmusik in dem gemarterten Haupt, und zu allem Übermaß brannte auch die Sonne immer unbarmherziger herunter. Peter bemerkte erst jetzt, daß sein Wams zerrissen war. Hatte es einen Kampf gegeben? Er konnte sich nicht erinnern. Alles war so furchtbar schnell gegangen. Er hatte nach etwas gesucht und dann… ja, richtig, Geräusche gehört… und urplötzlich war es Nacht um ihn geworden. Doch warum? Da Geld bei ihm nicht mehr zu holen war, konnte dies nur bedeuten, daß sich jemand durch sein Suchen gestört oder bedroht gefühlt hatte. Und der harte Schlag mochte soviel heißen wie: Misch dich nicht in meine oder unsere Angelegenheiten ein. Doch wer war dieser schwarze Teufel, den Perchtold gesehen haben wollte? In jedem Fall schien er Peters Vermutung zu bestätigen, daß an diesem Ort Dinge vor sich gingen, die nicht geheuer waren und sehr wahrscheinlich mit Jakobs Tod zu tun hatten. Die Geschichte war nicht nur höchst mysteriös, sondern fing auch langsam an, gefährlich zu werden. Falls die Begegnung mit dem unsichtbaren oder besser schwarzen Mann eine Warnung war, dann erfolgte sie in einer Sprache, die an Deutlichkeit nichts

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