Der Wachsmann
zunächst stehenden Richterschergen zuging, ihm eine Hacke aus der Hand nahm und sie triumphierend in die Höhe hielt.
»Wofür haltet Ihr dies? Etwa für ein Rasiermesser?«
Der Bader hatte seinen Vorteil geschickt ausgespielt, und Paul sah einen Augenblick lang verlegen in die Runde der Umstehenden. Er blickte in teilnahmslose Gesichter gewöhnlicher Gaffer, erspähte vielfach gehässiges Grinsen und sah die betretenen Mienen der anwesenden Floßmeister und Knechte. Sie alle wußten es bereits. Man hatte die Hacke neben dem Toten gefunden, und sowohl an der Schneide als auch an der stumpfen Seite klebten Hautfetzen und Blut. Kein Zweifel: Der Mörder war einer von ihnen.
Siegessicher fuhr Jobst Türlin, der sich jetzt schon in der Rolle des Anklägers gefiel, fort: »Wir wissen doch alle, wo wir zu suchen haben. Die ganze Stadt weiß, daß die Herren Flößer dem Amtmann Peitinger nicht grün waren.«
Etliche der Schaulustigen nickten und murmelten zustimmend.
»Und einer von ihnen«, hetzte Türlin weiter, »der schrie immer am lautesten, stieß wüste Drohungen aus und hat den Peitinger sogar schon angegriffen. Wen werd’ ich da wohl meinen, verehrter Herr Knoll?«
Paul hätte dem grinsenden Skelett am liebsten die Knochen poliert, aber die Stimmungsmache zeigte Wirkung und ringsum erhoben sich drohende Stimmen:
»Ist doch klar wie’s Augenwasser!«
»Freilich, der Leonhart war’s!«
»Wo ist der überhaupt?«
»Versteckt hat er sich, was sonst?«
In die Menge kam Bewegung. Ein paar wählten sich bei den Holzstapeln schon geeignete Latten aus, während die ganz Forschen sich nur die Ärmel aufkrempelten. Die Leiche war plötzlich völlig uninteressant geworden, und Anführer wie Schaulustige drängten und schoben jetzt drohend auf die Hütten der Floßleute zu, die auf dem Grieß hinter der Lände errichtet waren. Die Schergen und Richtersknechte konnten gar nicht anders, als sich an die Spitze des Zuges zu setzen, wollten sie auch nur halbwegs die Kontrolle des Geschehens in der Hand behalten.
Paul hatte zuvor schon bemerkt, daß aus dem Wams des Toten ein kleiner, weißgelber Zipfel herauslugte, und er fragte sich die ganze Zeit, ob seine Vermutung richtig sei. Des Peitingers gräßlich zerschlagene Visage hatte so sehr die Aufmerksamkeit aller auf sich gezogen, daß niemand auf diese kleine Nachlässigkeit in der Kleidung geachtet hatte. Paul ergriff die Gelegenheit des lärmend abziehenden Pöbels, beugte sich interessiert zu der Leiche hinab, als wolle er sie nochmals eingehend betrachten, zog dabei flink an dem Zipfelchen und ließ den Gegenstand unbemerkt in seiner Hand verschwinden. Er richtete sich wieder auf und wäre vor Schreck fast über die Leiche gefallen, als ihm jemand auf die Schulter tippte.
Es war Zunftmeister Hiltpurger, der kreidebleich, mit starrem Blick und monotoner Stimme sagte: »Ich hab’ die Hacke in der Hand gehabt, Paul. Ich war’s, der…«
»Mein Gott«, unterbrach ihn Paul entsetzt, »du?«
»Nein, Paul.« Ulrich Hiltpurger lächelte fast ein wenig ob des groben Mißverständnisses. »Ich war es, der sie als erster aufgehoben hat. Dabei hab ich’s gesehen.«
»Was?«
»Sein Zeichen. Ein Kreuz über einer Welle.«
»Ja, und?«
»Verstehst du nicht, Paul? Sein Zeichen. Es ist die Floßhack vom Jakob, so wahr ich hier stehe.«
»Herr im Himmel!« erwiderte Paul. »Jetzt wird’s ernst.«
Peter und Perchtold hatten inzwischen die Sendlinger Ansiedlungen erreicht, wo ersterer seinen Brummschädel im Dorfbrunnen erfrischte. Bei der Weiterfahrt holte Perchtold plötzlich einen kleinen Lederbeutel hervor. Er hatte sich entschlossen, nun doch darüber zu reden, teils aus Neugierde, teils weil das Wiedersehen mit der Mutter immer näher kam, und die würde Fragen stellen. Er öffnete das Säckchen und hielt seinem Begleiter eine Scheibe aus braunrotem Wachs entgegen, die etwa eine Handbreit im Durchmesser maß.
»Kannst du mir sagen, was das ist, Peter?«
Der Befragte hatte das Ding noch nie gesehen. Doch es hatte Ähnlichkeit mit dem Siegel, das an seinem Rechtsbrief als legitimer Sohn Heinrich Barths hing. Nur war es größer und prächtiger.
»Ich glaube, es ist ein Siegel«, antwortete Peter. »Und kannst du mir vielleicht sagen, wo du das her hast?«
»Oh, ich hab’s gefunden.«
»Soso, gefunden. Siegel wachsen ja auf Bäumen oder liegen einfach so im Gras herum.«
»Wirklich!« beteuerte der Knabe errötend. »Es lag da so auf einem Strohballen, und
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