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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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vermissen ließ.
    Sie fuhren eine Weile schweigend und in Gedanken dahin. Perchtold überlegte angestrengt, ob er es denn sagen sollte oder nicht. Peter grübelte über die Vorfälle nach, soweit es das Brausen in seinem Kopf zuließ, und verwünschte den unbekannten Schläger, die holprige Straße und überhaupt diese ganze verfluchte Angelegenheit.
    Paul bahnte sich mißmutig seinen Weg durch das bunte Durcheinander von Fuhrwerken und Reitern, Marktgängern und Bürgersleuten, die ihren Geschäften und Besorgungen nachgingen. Zum Glück schien die Sonne, während noch vor wenigen Tagen der Dauerregen die breite Gasse durch das Tal in ein Schlammfeld verwandelt hatte. Doch der Tag verhieß nichts Gutes. Er spürte es. Als er den Grieß erreichte, der sich von der Stadtbefestigung bis hinunter zur Isar erstreckte, sah er schon von weitem die ungewöhnliche Menschenmenge, die sich um die Holzlegen bei der Lände drängte. Die Isarbrücke stand immerhin noch, und es schien auch keiner ertrunken zu sein. Wahrscheinlich würden bloß wieder ein paar aufbrausende Knechte miteinander raufen, und deshalb mußte man ihn belästigen. Der Kistler Andreas lief aufgeregt auf ihn zu, und Paul herrschte ihn an:
    »Was ist eigentlich los, verflucht noch mal?«
    »V-e-r-f-l-u-c-h-t«, wiederholte Andreas ganz langsam und schien plötzlich mit den Gedanken ganz woanders zu sein. »Ja, das ist es. Seit der Geschichte mit dem Jakob sind wir alle verflucht. Jesus, Maria…« Der Floßmann bekreuzigte sich hastig und murmelte ein Gebet.
    Paul bahnte sich einen Weg durch die Gaffer. Gleich darauf war er froh, daß die Störung vor der Beendigung seines Frühstücks erfolgt war. Zwischen zwei Holzstapeln lag eine blutüberströmte Gestalt, die auf den ersten Blick nur am gewohnten Körperschema unterhalb des Halses als menschliches Wesen zu erkennen war. Aus der zerschmetterten Schädeldecke quoll grauweißes Hirn, und die untere Gesichtshälfte war ein mit Knochensplittern durchsetzter schleimig-blutiger Brei. Dazwischen starrten zwei grotesk aufgerissene Augen, die sich seltsamerweise als einzige Gesichtsteile noch an dem Ort befanden, den der Schöpfer für sie vorgesehen hatte.
    »Wer ist das?« fragte Paul zwischen Schlucken und Würgen.
    Obwohl die Frage an niemanden direkt gerichtet war, fühlte sich ein hageres, drahtiges Männchen, das seinerseits bleich und hohlwangig wie der Tod aussah, offenbar angesprochen.
    »Der Nickel Caspar, der hat ihn an der Kleidung erkannt. Es ist der Pfleger Peitinger.«
    »Sakrament!« entfuhr es Paul. Nicht, daß er Bedauern oder gar Mitleid verspürt hätte, aber die Sache überraschte ihn doch ziemlich. Diesmal hatte er den Widerling zu Unrecht als Drückeberger verdächtigt. Und wer jetzt noch behaupten wollte, der Peitinger sei ein übles Großmaul gewesen, der mußte sich zumindest rein äußerlich eines Besseren belehren lassen, denn an der Stelle des Mauls klaffte zwar ein riesiges Loch, doch Kiefer und Lippenrot suchte man vergeblich.
    Der Hagere, der so bereitwillig Auskunft gab, war Jobst Türlin, Bader in der Irchergasse, in der die Lederer ihr Handwerk betrieben. Türlin wurde zumeist als Leichenbeschauer gerufen. Er genoß zwar einen gewissen Ruf als Wundarzt, war ansonsten aber wenig gut gelitten. Das hatte zum einen mit seinem Gewerbe zu tun, das ihn in die Nähe von Henker und Abdecker rückte, zum anderen sah er selbst schon wie der Bruder des Todes aus. Und ungeachtet oder vielleicht gerade wegen dieses Mangels an Beliebtheit, nahm er sich meist unangenehm wichtig, was ihm bei Paul in etwa die Wertschätzung einer Eiterbeule eintrug.
    »Ich habe den Toten untersucht«, bemerkte er jetzt eifrig, »und komme zu dem Schluß, daß man ihn durch heftige Schläge vom Leben zum Tode befördert hat.«
    »Und ich hätte geschworen, daß ihn jemand zu Tode geschröpft hat«, bemerkte Paul trocken. So sehr er das aufgeblasene Gehabe der studierten physici und doctores haßte, sowenig konnte er es leiden, wenn einfache Tatbestände in den Rang erhabener Wahrheiten gehoben wurden. Türlin überging die spitze Bemerkung und entgegnete nun seinerseits mit boshaftem Grinsen: »Meine Untersuchung, verehrter Herr Knoll, hat gar schon ergeben, wer den armen Kerl erschlug.«
    »Aah, da bin ich aber neugierig.« Paul war jetzt tatsächlich gespannt, wen der eingebildete Bader der Tat beschuldigen würde. Und sein amüsiert erscheinendes Staunen wich ehrlichem Entsetzen, als der Bartscherer auf den

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