Der Waechter
Vibrationen, die bisher in Eva allgegenwärtig zu sein schienen, waren verschwunden.
Die Farben, die Lichtschleier um die Menschen. Das sind die Seelenfragmente der Animi. Der Junge im Park. Der unheimliche Mann. Ich selbst.
« Und was kann ich jetzt tun, damit es mir besser geht? »
Samuel schwieg.
Eva lächelte Jenny aufmunternd zu. « Na, indem du deinen Weg findest. Deine Fähigkeiten entdeckst, sie ausbildest und schützt. Wenn du deinem Seelenfragment gestattest, sich zu entfalten und deinen Körper darauf einstimmst, kannst du unendlich viel Gutes tun. »
« Das klingt alles ganz toll, aber bisher habe ich nur Schmerz, Leid und Albträume gehabt? »
« Genau deswegen bist du hier », antwortete Eva. « Wir wollen dich darüber aufklären, was mit dir vorgeht und dich auf deine Bestimmung aufmerksam machen. Deine Fähigkeiten sind so gut wie einmalig in unserer Geschichte, sodass der Bund noch nicht genau weiß, was es für unsere Zukunft bedeuten wird. »
« Was für ein Bund? Und wieso sprichst du von mehreren Fähigkeiten? Okay ein paar Dinge aus meinen Träumen können wahr werden. Ich habe also die Fähigkeit manches vorauszusehen. Das ist aber nur eine Fähigkeit! »
Obwohl mir das schon mehr als genug ist.
Samuel mischte sich wieder ein: « Der Bund ist eine Vereinigung von weißen Seelenträgern, die sich zur Aufgabe gemacht haben die Menschen zu schützen. Zum einen vor ihren eigenen Fähigkeiten, sofern sie animusbeseelt sind, zum anderen vor ihrer Schädigung oder gar Vernichtung durch negative Humānimi, den Dunklen. Wir nennen sie auch Schattenträger. Insbesondere die heranwachsenden Seelenträger sind gefährdet, denn die Dunklen wollen sich ihres Fragments bemächtigen, um noch stärker zu werden. Ja, es gibt auch Menschen, die ihre Animusbeseelung zum Bösen verwenden. Sicher fragst du dich, wie es möglich ist, dass Menschen, die mit Fragmenten aus einer Quelle von Liebe, Güte und Wärme beseelt sind, böse werden können? » Jenny hatte sich das nicht gefragt, aber das gab sie nicht zu, sondern ließ Samuel weitersprechen. « Wir Humānimi, die sich fürs Gute einsetzen, sind ja auch nicht durch und durch gutmütig. Das liegt am menschlichen Verstand. Der Charakter eines Menschen formt sich nicht alleine durch seine Beseelung. Im menschlichen Körper ist das Animusfragment das erste Mal den menschlichen Neigungen, Bedürfnissen und Trieben ausgesetzt. Es spürt so etwas wie Macht, Abneigung, Hass, Gier. Selbst das erfahrenste und stärkste Fragment kann den Verlockungen menschlicher Triebe erliegen. Wie ein Kind, das sich aus dem sicheren Heim hinaus schleicht, um das Abenteuer zu suchen. Ein dunkler Humānimus setzt seine Fähigkeiten für das Böse ein, so wie ein weißer das für das Gute tut. » Samuel seufzte schwermütig. « Und leider kam es auch schon vor, dass Seelenträger, die sich dem Guten verschrieben hatten, irgendwann dem Bösen zuwandten. » Er sagte es fast flüsternd und um seine Augen lag ein trauriger Ausdruck. Dann setzte er sich wieder gerade auf, nahm die Brille von der Nase, rieb sich die Augen und fuhr fort: « Und genau dagegen haben wir uns vereinigt. Wir mögen uns nicht immer alle, sind häufig verschiedener Meinung, aber wir halten zueinander. Wie Geschwister es tun. Die Wächter schützen ihre Schützlinge, die Archivare kümmern sich um den Schriftkram und den Informationsfluss, die Heiler sorgen dafür, dass wir uns schnell wieder regenerieren, die Krieger retten uns den Arsch und die Weisen teilen mit uns ihr Wissen und weisen uns den Weg. Alle zusammen schützen wir die einfach beseelten Menschen vor den übermenschlichen Fähigkeiten der Humānimi und die heranwachsenden Seelenträger vor Übergriffen der Schattenträger. Nur um dir mal einen kurzen Abriss über die Vielfältigkeit unserer Aufgaben zu geben. » Zufrieden schloss er seinen Monolog.
« Du bist also ein Archivar. Um was für Schriftkram kümmerst du dich denn da? »
« Nun, im Weißen Bund sind wir organisiert wie ein großer Verein. Wir haben Mitglieder, die ihre Beiträge zahlen und sich aktiv an unserer Arbeit beteiligen. Wir haben auch einige Mitglieder, die ausschließlich für den Bund tätig sind und ihr Gehalt von ihm beziehen. All das muss verwaltet werden. Der Bund hat viele Häuser wie unseres auf der ganzen Welt und es findet eine rege Korrespondenz statt. Das ist aber nur ein kleiner Teil meiner Tätigkeit. In meinem Kopf befindet sich ein unbegrenztes Archiv. » Er
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