Der Wächter des Herzens
morgens und mußte, nachdem er die Nacht als junger Mann verbracht
hatte, todmüde sein. Ich sah ihn jedoch lächelnd und ausgeruht an einer
Kulissenstütze lehnen. Er kam mir entgegen.
»Lewis... Haben Sie es schon gehört?«
»Ja, natürlich. Morgen ist zum Zeichen
der Trauer drehfrei. Wir werden ein bißchen gärtnern können.«
Nach einer Pause fügte er hinzu:
»Man kann nicht behaupten, ich hätte
ihm Glück gebracht.«
»Für Ihre Karriere ist das sehr
unangenehm.«
Er winkte gleichgültig ab.
»Haben Sie meinen Brief gefunden,
Lewis?«
Er sah mich an und wurde plötzlich rot.
»Nein, ich war heute nacht nicht zu
Hause.«
Ich lachte laut auf.
»Das ist Ihr gutes Recht. Ich habe
Ihnen nur erklärt, daß ich mich sehr über den Rolls freue und daß ich einfach
zu verblüfft war, um es Ihnen zu zeigen, das ist alles. Hinterher war ich ganz
unglücklich darüber.«
»Sie dürfen meinetwegen nicht
unglücklich sein«, sagte er. »Niemals.«
Man rief ihn. Er hatte eine kleine
Liebesszene mit einer Unschuld vom Lande, Jane Power, einer Brünetten mit
offenem Mund. Sie warf sich ihm mit sichtlicher Begeisterung in die Arme, und
ich dachte mir, daß Lewis in Zukunft nicht mehr oft die Nacht im Hause
verbringen würde. Doch das war schließlich normal, und ich machte mich auf den
Weg zum Studio-Restaurant, wo ich mit Paul zum Essen verabredet war.
ACHTES KAPITEL
Der Rolls war ein Ungetüm von einem
Wagen: Klappverdeck, Farbe schmutzig-weiß mit schwarzen —oder einmal schwarz gewesenen
— Sitzen, und glänzende Kupferbeschläge, wohin man blickte. Er stammte
mindestens aus dem Jahre 1925. Ein wahrhaft gräßliches Ding. Da in meiner
Garage nur für einen Wagen Platz war, mußten wir ihn in meinen ohnehin zu
kleinen Garten stellen. Auf jeder Seite sah noch ein wenig Gras hervor. Ein
romantischer Anblick. Lewis war begeistert. Er ging ständig um den Wagen herum
und gab sogar seinen Fauteuil auf meiner Veranda auf, um sich auf dem Rücksitz
häuslich einzurichten, wohin er nach und nach Bücher, Zigaretten und Flaschen
brachte. Sobald er aus dem Studio zurückkehrte, ließ er sich dort nieder,
hängte die Beine über die Tür und mischte in seinen Lungen die Düfte des Abends
mit dem Modergeruch, der aus den alten Polstern aufstieg. Gott sei Dank sprach
er nie davon, diesen Wagen auch zu fahren, und das war für mich die Hauptsache.
Ich wußte übrigens nicht, wie er vors Haus gekommen war.
Wir hatten übereinstimmend beschlossen,
ihn jeden Sonntag zu waschen. Wer nie an einem Sonntagmorgen einen Rolls 25
gewaschen hat, der wie ein Monument in einem verwilderten Garten steht, kennt
eine der großen Freuden des Lebens nicht. Wir brauchten anderthalb Stunden für
das Äußere und eine halbe für das Innere. Ich half zuerst Lewis, indem ich mich
den Scheinwerfern, der Kühlerhaube, kurz, dem Vorderteil widmete. Dann nahm ich
allein die Sitze in Angriff. Das Innere des Wagens war mein Revier, und ich
wurde so häuslich, wie ich es in meinem Hause nie gewesen war. Ich rieb die
Sitze mit einem feinen Wachs ein und polierte mit einem Stück Rehleder nach.
Das Holz des Armaturenbrettes rieb ich, bis es glänzte, dann hauchte ich die
Gläser der Instrumente an, wischte den Staub weg und sah vor meinen entzückten
Augen die unglaubliche Zahl 80 Meilen leuchten. Draußen machte sich Lewis im
Polohemd an den Reifen, den Radspeichen und den Stoßstangen zu schaffen. Um
halb eins funkelte der Rolls, daß es eine Pracht war, und wir waren wahnsinnig
glücklich. Wir gingen um ihn herum, während wir unseren Cocktail tranken, und
beglückwünschten uns zu dem herrlichen Vormittag. Ich weiß warum: Weil wir ihn
sinnlos vertrödelt hatten. Die Woche würde vergehen, das Unkraut würde am Wagen
hinaufwuchern, und wir würden ihn nie fahren. Aber am nächsten Sonntag würden
wir wieder von vorn beginnen. Wir fanden gemeinsam die Freuden der Kindheit
wieder: die wildesten, billigsten, tiefsten Freuden. Am nächsten Morgen, am
Montag, mußten wir zu unserer bezahlten Arbeit zurückkehren, zu unserer genau
festliegenden, täglichen Arbeit, die uns zu essen, zu trinken und zu schlafen
erlaubte und »die anderen« hinsichtlich unserer Existenz beruhigte. Aber, mein
Gott, wie ich manchmal das Leben und sein Räderwerk haßte! Seltsam, vielleicht
muß man, wie ich es immer getan habe, das Leben im Grunde hassen, um es in
allen seinen Erscheinungsformen zu lieben.
An einem schönen Septemberabend lag ich
auf meiner
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