Der Wächter des Herzens
Veranda, in einem der Pullover von Lewis, die so dick, so rauh und
so warm waren, wie ich sie gern mag. Ich hatte ihn nicht ohne Mühe dazu
überredet, mit mir in ein Warenhaus zu gehen, und so hatte er dank seines
glänzenden Gehaltes eine nicht existierende Garderobe erneuert. Ich borgte mir
fortwährend seine Pullover aus. Das habe ich bei allen Gefährten meines Lebens
so gemacht, und ich glaube, es ist eines der wenigen Laster, die sie mir
ernstlich vorwerfen können. Ich döste also vor mich hin und las hin und wieder
in einem besonders dummen Exposé, zu dem ich binnen drei Wochen die Dialoge
schreiben sollte. Es handelte sich, glaube ich, um ein albernes junges Mädchen,
das einen intelligenten jungen Mann kennenlernt und sich durch den Umgang mit
ihm entfaltet oder so etwas Ähnliches. Das einzig Störende an der Geschichte
war, daß mir das alberne Mädchen intelligenter vorkam als der junge Mann, aber
das Buch war ein Bestseller, und der Sinn durfte auf keinen Fall verändert
werden. Ich gähnte und wartete ungeduldig auf Lewis. Wen sah ich aber an seiner
Statt vorfahren, in einem schlichten, beinahe schwarzen Tweedkostüm, aber mit
einer riesigen Brosche am Hals? Die berühmte, die einmalige, soeben aus
Cincecittà zurückgekehrte Louella Schrimp!
Sie stieg vor meiner bescheidenen
Behausung aus, murmelte einem westindischen Chauffeur ein paar Worte zu und
stieß mein Gartentor auf. Sie hatte einige Mühe, meinen Rolls zu umgehen, und
in ihren schwarzen Augen dämmerte ein gewisses Erstaunen auf, als sie mich sah.
Ich muß recht komisch ausgesehen haben. Die Haare hingen mir ins Gesicht, ich
hatte diesen riesigen Pullover an und lag in einem Liegestuhl aus Korbgeflecht,
eine Flasche Scotch in Reichweite. Ich nehme an, ich ähnelte einer jenen
einsamen, dem Alkohol verfallenen Heldinnen Tennessee Williams’, die ich so
liebe. Sie blieb vor den drei Stufen stehen und sprach mit versagender Stimme
meinen Namen aus: »Dorothy... Dorothy...« Ich betrachtete sie verwirrt. Louella
Schrimp ist eine nationale Institution. Sie läßt sich nicht ohne einen
Leibwächter, einen Liebhaber und fünfzehn Fotografen in der Öffentlichkeit
blicken. Was tat sie in meinem Garten? Wir fixierten einander wie zwei Eulen,
und ich mußte unwillkürlich denken, daß sie sich erstaunlich gut hielt. Mit
dreiundvierzig Jahren hatte sie die Schönheit, die Haut und die Frische einer
Zwanzigjährigen. Sie wiederholte noch einmal: »Dorothy...«, und ich richtete
mich mühsam in meinem Liegestuhl auf und krächzte mit erloschener, aber
nichtsdestoweniger höflicher Stimme: »Louella«. Da stürzte sie auf mich zu und
nahm mit einem Sprung wie ein junger Damhirsch die drei Stufen, eine sportliche
Leistung, bei der ihr Busen unter der Kostümjacke heftig schaukelte, dann sank
sie in meine Arme. In diesem Augenblick wurde mir erst bewußt, daß wir ja beide
Franks Witwen waren.
»Mein Gott, Dorothy, wenn ich denke,
daß ich nicht da war... daß Sie sich allein um all das kümmern mußten... oh ja,
ich weiß, Sie waren wunderbar, das habe ich von allen gehört... Ich mußte Sie
sehen... ich mußte einfach...«
Sie hatte sich seit fünf Jahren nicht
mehr um Frank gekümmert, hatte ihn nicht einmal mehr gesehen. Ich nahm daher
an, daß sie einen Nachmittag zu vertrödeln hatte, oder daß ihr neuer Liebhaber
ihre emotionellen Fähigkeiten nicht ganz auszuschöpfen imstande war. Nur eine
Frau, die sich langweilt, sucht sich Kummer dieser Art. Ich bot ihr also mit
philosophischem Gleichmut einen Sessel und ein Glas an, und wir stimmten
gemeinsam ein Loblied auf Frank an. Sie entschuldigte sich zunächst einmal
dafür, daß sie ihn mir weggenommen hatte (aber die Leidenschaft entschuldigt
alles), und ich begann damit, daß ich ihr verzieh (denn die Zeit heilt alle
Wunden), und in diesem Sinne weiter. Ich amüsierte mich sogar ein wenig. Sie
gebrauchte lauter abgedroschene Redensarten, hatte aber geradezu erschreckende
Augenblicke brutaler Aufrichtigkeit. Wir waren eben dabei, den Sommer 1959
heraufzubeschwören, als Lewis kam.
Er sprang über die Stoßstange des
Rolls. Er lächelte. Er war schlank und schön wie selten einer. Er trug eine
alte Jacke und seine Leinenhose, und die schwarzen Haare hingen ihm ins
Gesicht. Ich sah das alles, wie ich es tagtäglich sah, aber ich sah ihn vor
allem mit dem Blick Louellas. Es klingt seltsam, aber sie scheute buchstäblich
zurück. Sie scheute wie ein Pferd vor einem Hindernis, wie also auch eine
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