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Der Wächter des Herzens

Der Wächter des Herzens

Titel: Der Wächter des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Françoise Sagan
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gelungen. Die Musik war so unbändig laut, daß man kein Wort reden
konnte. Eine fröhliche Versammlung hopste zu den Klängen des Jerk herum, und
der Scotch war trinkbar. Daher fiel mir das Verschwinden von Lewis zunächst
nicht auf. Als er wieder an den Tisch zurückkam, bemerkte ich seinen leicht
glasigen Blick, der mich überraschte, denn er trank nie viel. Ich nutzte ein
paar ruhigere Augenblicke aus, um mit Paul einen Slow zu tanzen, und als ich
zum Tisch zurückging, geschah es.
    Ein kräftig schwitzender, bärtiger
junger Mann kreuzte meinen Weg und rempelte mich kurz vor dem Tisch an. Ich
murmelte mechanisch. »Verzeihung«, aber er drehte sich um und fixierte mich mit
einem so gehässigen Blick, daß ich erschrak. Er mußte achtzehn Jahre alt sein
und ein riesiges Motorrad draußen vor der Tür und ein paar Gläser zu viel intus
haben, und er sah aus wie einer dieser berüchtigten Halbstarken, von denen
damals die Zeitungen voll waren. Er bellte mich buchstäblich an:
    »Was willst du denn hier, Alte?«
    Ich hatte gerade noch eine Sekunde
Zeit, mich zu ärgern, und ich ärgerte mich auch. Das menschliche Geschoß, das
in der nächsten Sekunde an mir vorbei und ihm an die Kehle flog, war Lewis.
Dann rollten die beiden unter fürchterlichem Getöse mitten zwischen den
umgestürzten Tischen und den Beinen der Tanzenden auf dem Boden hin und her.
Ich rief mit durchdringender Stimme nach Paul und sah, wie er sich einen Meter
hinter mir einen Weg zu bahnen versuchte, aber die begeisterten jungen Leute
bildeten einen Kreis um die Kämpfenden und ließen ihn nicht durch. Ich rief:
»Lewis! Lewis!« aber er wälzte sich mit einem dumpfen Knurren auf dem Boden und
hielt noch immer den Halbstarken an der Gurgel. Das dauerte eine Minute, eine
lange, alptraumhafte Minute. Plötzlich lagen die beiden Burschen ganz still.
Man erkannte sie kaum im Dunkeln, aber diese plötzliche Unbeweglichkeit war
schlimmer als die Schläge. Jemand schrie:
    »Reißt sie auseinander! Reißt sie doch
auseinander!«
    Paul war endlich neben mir angekommen.
Er stieß die nächststehenden Zuschauer zur Seite, und ich sah deutlich Lewis’
Hand. Diese lange, magere Hand hielt einen regungslos daliegenden Burschen an
der Gurgel und drückte wie wahnsinnig zu. Ich sah, wie Pauls Hand diese Hand
packte und einen Finger nach dem andern zurückbog, dann bekam ich einen
kräftigen Stoß und fiel verblüfft auf einen Stuhl.
    Das Folgende war sehr verworren. Man
hielt Lewis in der einen Ecke fest und brachte in der andern den Halbstarken
wieder zu sich. Da offenbar niemand die Absicht hatte, die Polizei zu rufen,
waren wir alle drei rasch draußen, keuchend und zerrauft. Lewis wirkte wieder
ganz ruhig, ruhig und geistesabwesend. Wir setzten uns in den Jaguar und
sprachen kein Wort. Paul atmete tief, nahm eine Zigarette, zündete sie an und
reichte sie mir. Dann steckte er sich selbst eine an. Er startete nicht. Ich
wandte mich ihm zu und sagte so fröhlich wie möglich:
    »Das nenne ich einen gelungenen Abend...«
    Er antwortete nicht, sondern lehnte
sich zur Seite und sah Lewis über mich hinweg mit einem merkwürdigen Blick an.
    »Was haben Sie genommen, Lewis? LSD?«
    Lewis antwortete nicht. Ich erschrak.
Er hatte den Kopf nach hinten gelegt und starrte völlig abwesend in den Himmel.
    »Es ist ja nun auch gleichgültig«,
sagte Paul leise. »Sie hätten ihn beinahe umgebracht. Was ist geschehen,
Dorothy?«
    Ich zögerte. Es war nicht leicht, das
zu sagen.
    »Der Bursche deutete an, ich sei ein
bißchen... zu alt für dieses Lokal.«
    Ich hoffte, Paul werde protestieren,
sich entrüsten, aber er begnügte sich damit, die Schultern zu zucken, und
startete sanft den Wagen.
    Wir sprachen bis zum Haus kein Wort.
Lewis schien zu schlafen. Ich dachte leicht angewidert, daß er sicher mit
seinem verdammten LSD vollgestopft sei. Ich habe übrigens nichts gegen
Rauschgifte, nur genügt mir selber der Alkohol. Alles andere macht mir Angst.
Ich habe auch Angst vor Flugzeugen, vor der Unterwasserjagd und der
Psychiatrie. Allein auf der Erde fühle ich mich sicher, gleich wo, wenn ich nur
Erde unter den Füßen habe. Als wir ankamen, stieg Lewis als erster aus,
murmelte etwas und verschwand ins Haus. Paul half mir aus dem Jaguar und folgte
mir zur Veranda.
    »Dorothy... Erinnerst du dich noch an
das, was ich dir beim erstenmal über Lewis sagte?«
    »Ja, Paul. Aber jetzt hast du ihn doch
auch recht gern, oder?«
    »Ja. Eben. Ich...«
    Er stotterte ein wenig, was

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