Der Wächter
gewesen wäre.
»Wir sitzen zusammen beim Mittagessen«, sagte Hazard, »und anschließend sauge ich mir einen Grund aus den Fingern, Reynerd noch am selben Tag einen Besuch abzustatten. Zufällig wird er umgelegt, während ich bei ihm bin. Und dann stellt sich auch noch heraus, dass der Fluchtwagen zufällig im Besitz von Dunny Whistler, deinem alten Kumpel, ist.«
»Mir brummt der Schädel«, sagte Ethan.
»Dabei hab ich dir nicht mal ordentlich eins draufgegeben. Mann, die werden mit Sicherheit annehmen, dass wir wissen, was da vor sich geht, und wenn wir das Gegenteil behaupten …«
»… was die reine Wahrheit wäre …«
»… dann werden sie annehmen, dass wir lügen. An ihrer Stelle würde ich das jedenfalls tun.«
»Ich leider auch«, sagte Ethan.
»Also werden sie sich ein verqueres Szenario ausdenken, das die Vorgänge irgendwie erklärt, und am Ende sind wir an allem schuld: Wir haben erst Reynerds Mami und dann ihn selbst umgebracht, den zweiten Mord dem guten Hector in die Schuhe geschoben und den schließlich auch noch umgelegt. Wie ich die Typen kenne, wird uns der Staatsanwalt anschließend auch noch das Attentat an JFK anhängen!«
Die Kirche kam Ethan längst nicht mehr wie der passende Zufluchtsort vor.
Er wünschte sich, wieder in einer Bar zu sitzen, um dort eventuell Trost zu finden, allerdings nicht in einer Bar, in der Dunny, tot oder lebendig, aufkreuzte.
»Ich kann also nicht mit Kesselman sprechen«, sagte er.
Hazard hätte nie vor Erleichterung aufgeseufzt und dadurch zu erkennen gegeben, wie besorgt er war. Hätte man ihm einen Spiegel unter die Nase gehalten, dann wäre wohl ein plötzlicher Kondensfleck sichtbar geworden, aber abgesehen davon zeigte sich seine schwindende Anspannung nur durch ein leichtes Absinken seiner muskulösen Schultern.
»Ich werde zusätzliche Maßnahmen ergreifen müssen, um Manheim zu schützen, und einfach hoffen, dass es Kesselman gelingt, den Mörder von Reynerds Mutter schleunigst aufzuspüren«, sagte Ethan.
»Falls das Untersuchungsteam nicht der Meinung ist, dass man mich von dem Fall abziehen soll, werde ich die ganze Stadt auf den Kopf stellen, um Dunny Whistler zu finden. Der ist der Schlüssel zu der ganzen Sache, da bin ich mir ganz sicher.«
»Ich glaube, zuerst wird Dunny mich finden.«
»Was soll das heißen?«
»Das weiß ich auch nicht.« Ethan zögerte, dann seufzte er. »Dunny war da.«
Hazard runzelte die Stirn. »Wo – da?«
»In der Hotelbar. Ich hab ihn erst bemerkt, als er gegangen ist. Aber als ich ihm hinterher bin, hab ich ihn draußen aus den Augen verloren.«
»Was hat er da gemacht?«
»Sich einen hinter die Binde gekippt. Na gut, vielleicht hat er mich auch beobachtet. Vielleicht ist er mir dorthin gefolgt, weil er mit mir sprechen wollte, hat es sich dann aber anders überlegt. Keine Ahnung.«
»Warum hast du mir das nicht gleich erzählt?«
»Keine Ahnung. Ich hab gedacht, es ist … einfach ein Geist zu viel.«
»Du meinst wohl, wenn es zu abstrus wird, glaube ich dir nicht mehr? Vertrau mir, Mann. Wir kennen uns doch schon so lange, oder etwa nicht? Uns sind gemeinsam Kugeln um die Ohren gepfiffen.«
Die beiden vereinbarten, die Kirche getrennt zu verlassen.
Hazard stand als Erster auf und machte sich auf den Weg. Am anderen Ende der Bank angelangt, blieb er im Mittelgang noch einmal stehen. »Wie in den alten Zeiten, was?«, sagte er.
Ethan wusste, was Hazard damit meinte. »Du meinst, wir geben uns gegenseitig Feuerschutz«, gab er zur Antwort.
Für einen so massigen Menschen machte Hazard kaum Geräusche, während er durchs Kirchenschiff zum Vorraum ging und die Kirche schließlich durch das Tor verließ.
Einen verlässlichen Freund zu haben, der einem den Rücken freihielt, war ein Trost, aber selbst der Beistand wirklich guter Freunde konnte nicht ersetzen, was eine liebende Frau für ihren Mann darstellen konnte, und umgekehrt. Gefühle der Freundschaft waren fest im Herzen verankert, doch der wärmste und sicherste Zufluchtsort in Ethans Herz war der Raum, den er einst mit Hannah geteilt hatte und in dem sie nun nur noch als kostbare Schattengestalt lebte, als süße, quälende Erinnerung.
Ihr hätte er alles anvertrauen können – das Phantom im Spiegel, seinen zweiten Tod vor dem Blumenladen –, und sie hätte ihm geglaubt. Gemeinsam hätten sie versucht, eine Erklärung zu finden.
In den fünf Jahren, seit Hannah tot war, hatte Ethan sie nie so sehr vermisst wie in diesem
Weitere Kostenlose Bücher