Der Wächter
Cassandra Limone) gestopft hatte, war nun leer.
Fric hatte genauso wenig Lust, sich in diesen Behältern zu verstecken, wie in dem schwarz lackierten Sarg oder in dem magischen Kasten, in dem man die Assistentin des Zauberers mithilfe geschickt angeordneter Spiegel verschwinden lassen konnte. Selbst die Objekte, die keine Särge waren, kamen ihm wie Särge vor, und ihm war klar, dass ihn der sichere Tod erwartete, wenn er in eines davon hineinkroch.
Am klügsten war es, immer in Bewegung zu bleiben, mäuschenflink und mäuschenstill. Wenn er immer einige Gänge und Ecken Abstand von dem Spiegelmann hielt, dann konnte er irgendwann die Wendeltreppe erreichen und aus dem Dachboden nach unten fliehen, wo Hilfe zu finden war.
Plötzlich merkte er, dass er die Schritte seines Verfolgers nicht mehr hören konnte.
Kein Schattenpapa aus Pappe stand regloser da, keine Mumie ruhte mit ausgedörrter Lunge atemloser unter ägyptischem Sand als nun Fric, der zu argwöhnen begann, dass diese neue Stille keine gute Entwicklung darstellte.
Ein Schatten schwebte über ihn hinweg, mit den Beinen wie in Wasser tretend.
Nach Luft schnappend, hob Fric den Kopf.
Eineinhalb Meter über ihm ruhten die Dachsparren auf ihren Stützpfeilern. Von einem Sparren zum anderen flog eine Gestalt über die Filmplakate hinweg, flügellos und doch anmutiger als jeder Vogel. Ihre langsame, gewichtslose Bewegung glich der eines Astronauten im Weltraum, die jeder Schwerkraft Hohn sprach.
Es war kein Phantom mit Umhang, sondern ein Mann in Anzug, derselbe, der aus dem Spiegel getreten war und nun ein schier unmögliches Luftballett vorführte. Er landete auf einem waagrechten Balken, drehte sich zu Fric um und schwang sich von seinem Horst herab – nicht wie ein fallender Stein, sondern wie eine Feder. Dabei grinste er genau so, wie Fric sich das Grinsen des furchtbaren, nach Kindern hungernden Moloch vorgestellt hatte.
Fric drehte sich um und rannte davon.
Obwohl Moloch sich langsam wie eine Feder herabgeschwungen hatte, war er urplötzlich da. Er packte Fric von hinten, legte ihm einen Arm um die Brust und eine Hand aufs Gesicht.
So verzweifelt Fric auch versuchte, sich loszureißen, er wurde vom Boden gehoben wie eine Maus, die in den Klauen eines jagenden Habichts zappelte.
Einen Augenblick lang dachte er, Moloch würde sich mit ihm auf einem Dachbalken niederlassen, um ihn dort gierig zu zerfetzen.
Stattdessen blieben sie zwar auf dem Boden, aber Moloch setzte sich in Bewegung. Er schritt dahin, als wüsste er genau, wohin jede Biegung des Labyrinths ihn führte.
Fric zappelte und strampelte, hatte jedoch das Gefühl, gegen etwas zu kämpfen, das nicht solider als Wasser war. Er war wie in den Strömen eines Albtraums gefangen.
Die Hand auf seinem Gesicht drückte von unten gegen das Kinn, presste ihm die Zähne zusammen, kniff ihm die Nase zu und zwang ihn, den Schrei zu verschlucken, der in ihm aufstieg.
Nun überkam ihn eine Panik, wie er sie aus seinen schlimmsten Asthmaanfällen kannte, die grässliche Angst vor dem Ersticken. Er konnte den Mund nicht öffnen, um zu beißen, konnte sich nicht mit Tritten wehren, konnte nicht einmal atmen .
Und doch ergriff ihn eine noch schlimmere Furcht. Mit scharfen Krallen bohrte sie sich ihm ins Hirn, während sie am Sarkophag der Mumie vorbeikamen und an einem Papp-Polizisten mit dem Gesicht des Schattenpapas. Es war die schaurige Vorstellung, dass Moloch vorhatte, ihn durch den Spiegel in eine Welt aus ewiger Nacht zu entführen, wo Kinder zum Vergnügen kannibalischer Götter wie Kälber gemästet wurden, wo man nicht einmal die bezahlte Freundlichkeit von Mrs. McBee fand und wo es keinerlei Hoffnung gab, am allerwenigsten die Hoffnung, das Erwachsenenalter zu erreichen.
41
Ethan warf einen Blick auf seine Armbanduhr und dann auf das Lämpchen für Anschluss Nummer 24, um die Dauer der Verbindung zu berechnen.
Er war keineswegs der Meinung, dass ein Toter den Palazzo Rospo angewählt hatte und nun damit beschäftigt war, ein Münztelefon im Jenseits mit metaphysischen Groschen zu beschicken. Bestimmt hatte sich irgendjemand verwählt, oder es handelte sich um einen Telefonverkäufer, der so aggressiv um Kundschaft warb, dass er selbst einen Anrufbeantworter mit seinen Sprüchen belästigte.
Als Ming du Lac, der spirituelle Berater von Channing Manheim, den Zweck von Anschluss Nummer 24 erläutert hatte, war Ethan scharfsichtig genug gewesen, um zu erkennen, dass sein Gesprächspartner
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