Der Wächter
hinweg nur die Stimmen von Telefonverkäufern und Leuten, die sich verwählt hatten, aufgezeichnet. Dazu kamen mehrere Anrufe eines Witzbolds, der, wie sich schon vor Ethans Ankunft herausgestellt hatte, zur Wachmannschaft des Anwesens gehörte. Man hatte ihn entlassen, ausgestattet mit einer großzügigen Abfindung und – laut Mrs. McBee – mit einer Standpauke von Ming du Lac, der ihm dringend geraten hatte, seine spirituelle Einstellung zu ändern.
Das Lämpchen ging aus. Der Anruf hatte eine Minute und zwölf Sekunden gedauert.
Manchmal fragte sich Ethan, wie es sich bei dem Channing Manheim, der so erfolgreich seine Filmkarriere verfolgte und sich darüber hinaus als Investitionsgenie erwiesen hatte, um dieselbe Person handeln konnte, die nicht nur Ming du Lac finanzierte, sondern auch noch eine Fengshui-Beraterin, einen Lehrer für hellseherische Techniken und einen Spezialisten für vergangene Leben, der vierzig Stunden pro Woche damit verbrachte, die Reinkarnationen des Schauspielers durch die Jahrhunderte zurückzuverfolgen.
Nach den außergewöhnlichen Ereignissen des heutigen Tages war Ethan sich der skeptischen Haltung, die er gewöhnlich pflegte, allerdings nicht mehr ganz so sicher.
Er wandte sich wieder dem Bildschirm mit der Telefonliste zu und überlegte mit gerunzelter Stirn, weshalb Fric den schnaufenden Anrufer wohl erfunden haben könnte.
Wenn jemand den Jungen tatsächlich mit obszönen Anrufen belästigt hatte, dann lag es nahe, dass diese mit den Drohungen gegen Manheim zu tun hatten, die in den schwarzen Schachteln eingetroffen waren. Sonst hätte es zwei Quellen der Bedrohung gegeben, die gleichzeitig entstanden waren, und Ethan glaubte nicht an derartige Zufälle.
Womöglich war der Schnaufer das Vorbild für den in Reynerds unfertigem Drehbuch erwähnten »Professor«, den Mann, der sich mit Reynerd verschworen hatte, Man-heim die schwarzen Schachteln zu schicken und später umzubringen. Falls dem so war, hatte er mindestens eine der nicht im Telefonbuch stehenden Nummern des Hauses in Erfahrung gebracht – eine beunruhigende Entwicklung.
Allerdings hatte das Computerprogramm bisher nie dabei versagt, sämtliche Anrufe zu registrieren, und Programme konnten sich zwar irren, aber sie logen nicht.
Der vor kurzem eingetroffene Anruf für Anschluss Nummer 24 war nun der letzte Eintrag auf der Liste des Tages, genauso, wie es sein sollte.
Ethan hatte den Anruf auf eine Minute und zwölf Sekunden berechnet, die Software hatte dagegen eine Minute vierzehn Sekunden registriert. Ethan zweifelte nicht daran, dass die zwei Sekunden Unterschied auf seine Kappe gingen.
Laut der Liste hatte der Anrufer die Identifikation seiner Nummer blockiert. Das war merkwürdig, sollte es sich tatsächlich um einen Telefonverkäufer handeln, weil denen das seit einer Weile per Gesetz verboten war. Hatte sich nur jemand verwählt, dann war es allerdings überhaupt nicht merkwürdig.
Genauso wenig merkwürdig war es im letzteren Falle für den Anrufer, eine Minute oder länger in der Leitung zu bleiben. Der Begrüßungstext des speziellen Anrufbeantworters für Anschluss 24 bestand nicht aus einer umständlichen Botschaft an die Besucher aus der Geisterwelt, sondern aus einem einfachen: »Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht«. Manche Anrufer, die nicht merkten, dass sie mit der falschen Nummer verbunden waren, folgten dieser Einladung.
Abgesehen davon, ging es gar nicht darum, wer Anschluss 24 angewählt hatte. Die Frage war, ob das bisher absolut zuverlässige Programm sich geirrt oder gelogen hatte, indem es die von Fric behaupteten Anrufe nicht aufgezeichnet hatte.
Folgte Ethan der Logik, dann konnte er nur annehmen, dass dem Programm nichts vorzuwerfen war. Morgen Früh musste er unbedingt noch einmal mit Fric sprechen.
Auf dem Tisch lagen die drei Silberglöckchen aus dem Rettungswagen neben dem Computer. Er starrte sie lange an.
Neben den Glöckchen lag ein großer brauner Umschlag, den Mrs. McBee ihm dort hingelegt hatte. Sein Name war mit kalligrafischer Meisterschaft geschrieben.
Die graziöse Handschrift ließ Ethan wie alles, was Mrs. McBee auszeichnete, schmunzeln. Sie wusste bei jeder Aufgabe, wie sie am besten und elegantesten erledigt werden musste, und sie setzte immer alles daran, ihren hohen Anforderungen selbst gerecht zu werden.
Er öffnete den Umschlag und fand eine Wahrheit bestätigt, die er schon längst kannte: Freddie Nielander, Frics Mutter, war eine ausnehmend dumme
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