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Der Wächter

Der Wächter

Titel: Der Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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ein kleiner Hoffnungsschimmer. »Außergewöhnlich? In welcher Hinsicht?«
    »Das weiß ich auch nicht. Aber in den vergangenen vierundzwanzig Stunden habe ich allerhand erstaunliche Dinge erlebt, die, wie ich glaube, irgendwie alle mit Dunny zu tun haben. Deshalb wollte ich heute auch mit Ihnen sprechen.«
    »Ja?«
    Nach Worten ringend, schob Ethan den Stuhl, auf dem er saß, zurück und stand auf. Die in siebenunddreißig Lebensjahren erworbene Gewohnheit, sich auf Vernunft und Rationalität verlassen zu können, lähmte ihm die Zunge.
    Er wünschte sich ein Fenster herbei. Hätte er in den Regen hinausblicken können, so hätte er einen Vorwand gehabt, den Arzt nicht anschauen zu müssen, während er die Frage stellte, die gestellt werden musste.
    »Doktor, Sie haben die Behandlung von Dunny zwar nicht geleitet …«
    Bei diesen Worten stierte Ethan finster auf einen Automaten voller Schokoriegel und kam sich deshalb ziemlich bescheuert vor.
    »… aber Sie waren daran beteiligt.«
    Der Arzt schwieg und wartete.
    Ethan, der seinen Kaffee längst ausgetrunken hatte, nahm den Pappbecher vom Tisch und zerknüllte ihn in der Faust.
    »Und nach allem, was gestern geschehen ist, möchte ich wetten, dass Sie seine Akte besser als irgendjemand anders kennen.«
    »Von vorn bis hinten und umgekehrt«, sagte Dr. O’Brien.
    Ethan ging mit dem Becher zum Abfalleimer. »Steht vielleicht irgendetwas in der Akte, was Sie als ungewöhnlich bezeichnen würden?«
    »Ich kann keinen einzigen Fehler bei der Diagnose, der Behandlung und dem Ausstellen des Totenscheins erkennen.«
    »Das meine ich nicht.« Ethan warf den zerknüllten Becher in den Abfall und schritt anschließend mit zum Boden gerichtetem Blick im Zimmer umher. »Als ich gesagt habe, dass ich Ihnen und dem übrigen Personal hier keinerlei Vorwürfe mache, war das vollkommen ehrlich gemeint. Mit dem Ausdruck ›ungewöhnlich‹ meine ich eigentlich eher … seltsam, unheimlich.«
    »Unheimlich?«
    »Ja. Ich weiß auch nicht, wie ich es besser ausdrücken soll.«
    Dr. O’Brien schwieg so lange, dass Ethan stehen blieb und den Blick hob.
    Auf der Unterlippe kauend, starrte der Arzt auf die Papierstapel.
    »Da war also tatsächlich was«, sagte Ethan aufs Geratewohl. Er ging zum Tisch zurück und ließ sich wieder auf dem orangefarbenen Foltergerät nieder. »Etwas Unheimliches, stimmt’s?«
    »Es steht hier in den Akten. Ich habe es nicht erwähnt, weil es bedeutungslos ist.«
    »Was ist es denn?«
    »Man könnte es fälschlich als Hinweis interpretieren, dass der Patient vorübergehend aus dem Koma erwacht ist, aber das war nicht der Fall. Einige meiner Kollegen haben die Sache damit erklären wollen, dass ein Gerät nicht richtig funktioniert hat, aber das war auch nicht der Fall.«
    »Ein Gerät? Welches?«
    »Das EEG.«
    »Das Ding, das die Hirnwellen aufzeichnet?«
    Dr. O’Brien kaute wieder auf der Lippe.
    »Doktor?«
    Der Arzt sah Ethan in die Augen, seufzte und erhob sich vom Stuhl. »Es ist besser, wenn Sie es sich selbst anschauen.«

51
    Corky parkte zwei Straßen entfernt und ging dann durch den kalten Regen zur Heimstatt des dreiäugigen Monstrums.
    Der Sturm war stärker als am Vortag. Er riss dürre Wedel von den Königspalmen, trieb eine leere Plastikmülltonne die Straße entlang, zerrte an einer tannengrünen Markise und ließ deren loses Ende lautstark flattern.
    Teebäume peitschten mit ihren geschmeidigen Ästen umher, als wollten sie sich selbst in Stücke schlagen. Zirbelkiefern verloren ihre toten, braunen Nadeln, die durch die brodelnde Luft flogen, stachelnd und blendend.
    Während Corky dahinschritt, trieb auf dem im Rinnstein schäumenden Wasser eine tote Ratte vorbei. Als sich der baumelnde Kopf in seine Richtung drehte, sah er eine dunkle, leere Augenhöhle und ein milchiges Auge.
    Angesichts des herrlichen Schauspiels, das ihn umgab, hätte er liebend gern Zeit gehabt, an dieser Feier des Chaos teilzunehmen und selbst ein bisschen schelmische Unordnung zu verbreiten. Er sehnte sich danach, ein paar Bäume zu vergiften, Hasstiraden in Briefkästen zu stopfen, Nägel unter die Reifen parkender Autos zu streuen, ein Haus in Brand zu stecken …
    Leider war der heutige Tag einer der anderen Art, einer, an dem er zahlreiche Dinge zu erledigen hatte. Am gestrigen Montag war er ein teuflischer Schalk gewesen, ein amüsanter Kobold des Nihilismus, aber heute musste er ein ernsthafter Kämpfer für die Anarchie sein.
    Das Stadtviertel bot eine

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