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Der Wächter

Der Wächter

Titel: Der Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Seitenfenster verschwamm das Apartmenthaus zu einer seltsam verzerrten Form, wie man sie aus Albträumen kannte.
    Ethan zuckte so heftig zusammen, als hätte man ihm einen Elektroschock verpasst. Mit der Verzweiflung eines Ertrinkenden atmete er ein. Die Luft roch süß, frisch und süß und rein. Er stieß den Atem aus.
    Kein Loch im Bauch. Kein Loch in der Brust. Das Haar war nicht vom Regen nass.
    Sein Herz klopfte; es klopfte wie eine irre Faust an die gepolsterte Tür einer Gummizelle.
    Noch nie im Leben hatte Ethan Truman so klar und so intensiv geträumt, noch nie hatte ihn ein derart detaillierter Albtraum geplagt wie die Szene in Reynerds Apartment.
    Er sah auf die Armbanduhr. Wenn er eingeschlafen war, dann hatte er nicht mehr als eine Minute geträumt.
    Die Windungen eines derart komplexen Traums konnte er doch nicht in einer einzigen Minute erkundet haben! Unmöglich.
    Der Regen wusch die letzten trüben Schlieren von der Scheibe. Hinter den tropfenden Wedeln der Phönixpalmen wartete das Apartmenthaus, zwar nicht mehr verzerrt, aber dafür unendlich sonderbar.
    Als Ethan sich an die Kopfstütze gelehnt und die Augen geschlossen hatte, um über das weitere Vorgehen nachzudenken, war er überhaupt nicht schläfrig gewesen. Nicht einmal müde.
    Er war sich sicher, dass er keine Minute geschlafen hatte. Nicht einmal für fünf Sekunden war er eingenickt.
    Wenn es sich bei dem ersten Ferrari um ein Phantasiegebilde gehandelt hatte, dann wies das Erscheinen des zweiten Sportwagens darauf hin, dass die Wirklichkeit nun genau denselben Weg nahm wie der Albtraum.
    Inzwischen hatte sich Ethans hektischer Atem beruhigt, aber das Herz pochte nach wie vor mit unverminderter Geschwindigkeit. Offenbar galoppierte es der Vernunft hinterher, die ein immer schärferes Tempo anschlug und wohl bald außer Reichweite war.
    Ethans Intuition riet ihm, sofort loszufahren und ein Café zu suchen, damit er sich dort einen großen Becher Kaffee bestellte – und zwar eine Sorte, die stark genug war, um das Kopfschwirren zu zerstreuen.
    Mit etwas zeitlichem und räumlichem Abstand vom Geschehen würde er bestimmt den Schlüssel finden, der das Geheimnis löste und ein Verständnis ermöglichte. Kein Rätsel konnte sich einer Lösung widersetzen, wenn man ihm mit genügend Kopfarbeit und rigoroser Logik zu Leibe rückte.
    Obgleich die vielen Jahre bei der Polizei ihn gelehrt hatten, seiner Intuition so zu vertrauen wie ein Baby seiner Mutter, stellte er den Motor ab und stieg aus dem Wagen.
    Keine Frage: Intuition stellte ein unentbehrliches Überlebenswerkzeug dar. Ehrlichkeit sich selbst gegenüber war jedoch noch wichtiger, als der Intuition zu folgen. Und wenn Ethan ehrlich war, dann musste er sich eingestehen, dass er nicht wegfahren wollte, um anderswo in Ruhe nachdenken und wie weiland Sherlock Holmes logische Schlüsse zu ziehen, sondern weil die blanke Angst ihn in den Klauen hatte.
    Angst durfte jedoch niemals siegen. Sobald man sich ihr auch nur ein einziges Mal überließ, war man als Polizist erledigt.
    Freilich war er inzwischen kein Polizist mehr. Er hatte vor über einem Jahr gekündigt. Die Arbeit, die seinem Leben Sinn verliehen hatte, während Hannah noch am Leben war, hatte ihm in den Jahren nach ihrem Tod immer weniger bedeutet. Er hatte nicht mehr daran geglaubt, etwas auf der Welt bewirken zu können, und deshalb den Wunsch verspürt, sich von der hässlichen Realität des menschlichen Daseins, die den Alltag bei der Mordkommission prägte, abzuwenden. Die Welt von Channing Manheim war so weit wie irgend möglich von der Realität entfernt, bot einem aber trotzdem die Möglichkeit, seine Brötchen zu verdienen.
    Obwohl Ethan keine Dienstmarke mehr trug und daher im offiziellen Sinne kein Cop mehr war, war er dem Wesen nach einer geblieben. Wir sind, was wir sind, egal, was wir sein wollen oder zu sein vorgeben.
    Er schob die Hände in die Taschen seiner Lederjacke, zog die Schultern hoch, als wäre der Regen eine kaum erträgliche Last, und rannte dann über die Straße zum Apartmenthaus hinüber.
    Triefend vor Nässe betrat er den Hausflur. Ein Boden mit mexikanischen Fliesen. Aufzug. Treppe. Wie abzusehen. Wie es gewesen war.
    Der Geruch von fettem, gebratenem Frühstücksschinken und von Marihuana hing in der muffigen Luft, die sich zähflüssig anfühlte und wie Schleim in der Kehle stecken zu bleiben schien.
    Zwei Zeitschriften lagen im Fach. Auf beiden Adressaufklebern stand der Name George

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