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Der Wächter

Der Wächter

Titel: Der Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Sie außerdem gesagt, er wäre unruhig gewesen.«
    Die Betawellen auf dem Bildschirm zuckten wild auf und ab, die Täler wurden enger, der Abstand zwischen Hoch- und Tiefpunkt jeder Bewegung nahm drastisch zu, bis das Muster wie die Aufzeichnung eines Seismografen bei einem heftigen Erdbeben aussah.
    »An manchen Stellen könnte man zutreffend sagen, dass der Patient ›unruhig‹ erscheint, an anderen wäre der Ausdruck ›erregt‹ eher am Platze. In dem Abschnitt, den wir gerade sehen, würde ich sagen, es handelt sich um die Gehirnwellen eines verängstigten Individuums, und das meine ich überhaupt nicht melodramatisch.«
    »Verängstigt?«
    »Zutiefst.«
    »Ein Albtraum?«, sagte Ethan.
    »Ein Albtraum wäre nur eine düstere Variante des Traums. Er kann zwar ein heftiges Wellenmuster verursachen, aber das ist immer noch als das eines Träumenden erkennbar. So wie das da sieht es überhaupt nicht aus.«
    Der Arzt ließ die Daten wieder schneller durchlaufen. In wenigen Sekunden zogen acht Minuten vorüber.
    Als die Anzeige wieder auf Echtzeit umsprang, sagte Ethan: »Das sieht jetzt gleich aus … und doch anders.«
    »Es sind weiterhin die Betawellen eines wachen Menschen, und ich würde sagen, er hat auch noch immer Angst. Allerdings könnte sich das Entsetzen hier zu einer starken Beklemmung abgeschwächt haben.«
    Der schlangenzüngige Wind sang in einer Sprache aus Zischen, Kreischen, Stöhnen; die an die Fensterscheiben klopfenden Krallen des Regens waren die perfekte musikalische Begleitung für die schroffen Muster auf dem Bildschirm.
    »Während das Grundmuster auf einen bewussten Angstzustand verweist«, fuhr Dr. O’Brien fort, »finden sich darin auch unregelmäßige Phasen mit höheren Spitzen, denen jeweils eine Phase mit tieferen Spitzen folgt.«
    Er deutete auf den Bildschirm, um Ethan einige Beispiele zu zeigen.
    »Und was bedeutet das?«, fragte Ethan.
    »Es deutet auf ein Gespräch hin.«
    »Auf ein Gespräch? Sie meinen, er spricht mit sich selbst?«
    »Tja, im Grunde spricht er mit überhaupt niemandem, nicht einmal mit sich selbst, zumindest nicht laut . Weshalb wir diese Muster eigentlich auch gar nicht sehen dürften.«
    »Ich verstehe. Glaube ich wenigstens.«
    »Dennoch ist das, was sie darstellen, eindeutig. Während der Phasen mit höheren Spitzen sollte der Patient eigentlich sprechen, und während der Phasen mit tieferen Spitzen sollte er zuhören. Jemand, der sich im Geiste mit sich selbst unterhält, erzeugt solche Wellen selbst dann nicht, wenn er wach ist. Wenn man mit sich selbst spricht, also eine kleine innere Debatte führt, ist man ja eigentlich …«
    »… immer am Reden«, sagte Ethan. »Man vertritt beide Seiten der Debatte und hört nie wirklich zu.«
    »Genau. Diese Phasen hier verweisen jedoch auf ein bewusstes Gespräch zwischen dem Patienten und einer anderen Person.«
    »Was für einer anderen Person denn?«
    »Keine Ahnung.«
    »Er liegt im Koma.«
    »Richtig.«
    Ethan runzelte die Stirn. »Wie kann er denn da mit jemandem reden? Durch Telepathie?«
    »Glauben wir an Telepathie?«, fragte Dr. O’Brien.
    »Ich nicht.«
    »Und ich ebenso wenig.«
    »Warum kann es sich dann eigentlich nicht tatsächlich um eine Funktionsstörung des Geräts handeln?«, fragte Ethan.
    Der Arzt beschleunigte wieder den Datenstrom, bis die Gehirnwellen vom Bildschirm verschwanden und an ihrer Stelle das Wort DATENUNTERBRECHUNG erschien.
    »Man hat das EEG, das man für defekt hielt, abgeschaltet«, sagte der Arzt. »Dann hat man Whistler an ein anderes Gerät angeschlossen. Der ganze Vorgang hat sechs Minuten gedauert.« Er ließ die Aufzeichnung vorlaufen, bis die Muster wieder erschienen.
    »Mit dem neuen Gerät sieht es genauso aus«, sagte Ethan.
    »Richtig. Die für volles Bewusstsein typischen Beta-wellen, große Angst und Phasen, die auf ein leidenschaftliches Gespräch verweisen.«
    »Noch ein nicht funktionierendes Gerät?«
    »Einer von meinen Kollegen behauptet das weiterhin eisern. Ich nicht. Diese Wellenmuster sind neunzehn Minuten lang auf dem ersten EEG erschienen, haben sich während des sechs Minuten dauernden Wechsels offenbar fortgesetzt, und sind vom zweiten Gerät dann weitere einunddreißig Minuten lang aufgezeichnet worden. Das macht insgesamt sechsundfünfzig Minuten, bis das Ganze abrupt aufhört.«
    »Und wie erklären Sie sich das?«
    Statt eine Antwort zu geben, tippte der Arzt einen Befehl ein. Er rief damit einen zweiten Datenstrom auf, der oberhalb des

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