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Der Wächter

Der Wächter

Titel: Der Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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und Komplexität.«
    »Sie hingegen …«
    »Ich hingegen bin breit und tief und so lebendig , dass die moderne Filmtechnologie meine Wirkung übersteigert und mich zur Karikatur werden lässt.«
    »Das muss frustrierend sein«, bemerkte Hazard mitfühlend.
    »Darauf können Sie wetten. In einem Schwarz-Weiß-Film würde ich den Bildschirm ausfüllen, ohne die Zuschauer zu überwältigen. Wo sind die Bogarts und Bacalls unserer Zeit, die Tracys und Hepburns, wo sind Leute wie Cary Grant, Gary Cooper und John Wayne?«
    »Die haben wir einfach nicht«, stimmte Hazard zu.
    »Weil sie heute keinen Erfolg mehr hätten«, sagte Reynerd. »Sie wären zu kraftvoll für den modernen Film, zu tief, viel zu glanzvoll. Was halten Sie von Moonshaker? «
    Hazard runzelte die Stirn. »Wovon?«
    » Moonshaker . Channing Manheims neuester Hit. Zweihundert Millionen Dollar brutto an den Kinokassen.«
    Vielleicht war Reynerd ja so auf Manheim fixiert, dass er bei jedem Gespräch das Thema auf ihn lenkte.
    Hazard blieb vorsichtig. »Ich gehe nicht ins Kino«, sagte er.
    »Alle Leute gehen ins Kino.«
    »Das stimmt nicht ganz. Um zweihundert Millionen Dollar einzunehmen, muss man kaum dreißig Millionen Eintrittskarten verkaufen. Das sind gerade mal zehn Prozent aller Amerikaner.«
    »Na schön, aber andere Leute haben den Film im Fernsehen oder auf DVD gesehen.«
    »Vielleicht noch einmal dreißig Millionen. Egal, was für einen Film man nimmt, mindestens achtzig Prozent der Leute haben ihn nie gesehen. Sie haben Wichtigeres zu tun.«
    Die Vorstellung, dass Filme nicht den Nabel der Welt darstellten, überstieg offenbar Reynerds Vorstellungskraft. Obwohl er in keines seiner Chipstüten-Halfter griff, um seine Waffe zu ziehen, war er eindeutig wenig erfreut über die Wendung, die das Gespräch genommen hatte.
    Hazard fand jedoch wieder Gnade in Reynerds Augen, als er sagte: »Aber in der Zeit des Schwarz-Weiß-Films, von der Sie da eben gesprochen haben, ist das halbe Land einmal pro Woche ins Kino gegangen. Damals war ein Star ein echter Star. Jedermann kannte die Filme mit Clark Gable oder Jimmy Stewart.«
    »Genau«, stimmte Reynerd zu. »In der Schwarz-Weiß-Ära wäre Manheim eingegangen. Er wäre zu dünn für das Medium gewesen, zu flach. Heute wäre er vergessen. Nein, schlimmer als vergessen – er wäre unbekannt .«
    Die Türglocke läutete.
    »Ich erwarte doch niemand«, sagte Reynerd mit erstaunter, leicht verärgerter Stimme.
    »Ich auch nicht«, sagte Hazard trocken.
    Reynerd warf einen Blick aufs Fenster, vor dessen Scheiben draußen das nasse, graue Zwielicht langsam in Dunkelheit überging. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit dem Fernsehbildschirm zu, auf dem Gable und Colbert im neckischen Streit erstarrt waren.
    Schließlich stand er vom Sofa auf. Er zögerte und betrachtete seine Tüten mit Kartoffelchips.
    Beim Anblick dieser seltsamen Darbietung überlegte Hazard, ob der Schauspieler sich wohl dem Zustand näherte, in dem der typische Speed-User urplötzlich vom Gipfel einer überscharfen Wahrnehmung in den Nebel der Verwirrung und in eine lähmende Erschöpfung stürzte.
    Als die Türglocke zum zweiten Mal läutete, setzte sich Reynerd schließlich in Bewegung. »Ständig tauchen irgendwelche Spinner auf, um einem was von Jesus vorzuschwafeln«, sagte er gereizt und machte den Eindruck, solcher ungebetener Gäste einfach überdrüssig zu sein. Dann zog er die Tür auf.
    Von seinem Sessel aus konnte Hazard nicht sehen, wer die Schüsse abfeuerte. Aus dem harten Bumm-bummbumm , das dicht aufeinander folgte, schloss er jedoch, dass der Killer eine großkalibrige Waffe in der Hand hielt, möglicherweise eine .357er oder sogar etwas noch Größeres.
    Falls die Zeugen Jehovas nicht zu ausgesprochen aggressiven Verkaufsmethoden übergegangen waren, hatte Reynerd die Absichten des Besuchers falsch eingeschätzt.
    Beim zweiten Bumm fuhr Hazard von seinem Sessel hoch, beim dritten griff er nach seiner im Halfter steckenden Pistole.
    So sterblich, wie es selbst Gable und Bogart gewesen waren, zuckte Reynerd zurück, stürzte zu Boden und spritzte ein Technicolor-Muster über jenes schwarz-weiße Ambiente, in dem er so breit, so tief, so lebendig gewesen war.
    Während Hazard sich auf seinen Gastgeber zubewegte, hörte er, wie im Flur jemand davonrannte.
    Reynerd hatte aus nächster Nähe drei Schüsse in die breite Brust bekommen. Offenbar hatte eines der Projektile beim Austritt aus dem Rücken wichtige Teile des

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