Der Wächter
überlebte, hing seiner Meinung nach davon ab, dass man beherzt vorging und gerade genug Angst verspürte, um nicht tollkühn zu werden.
Jedenfalls konnte man sich diesem Glauben leicht hingeben, bis man durch ein wenig zu viel Beherztheit den Tod fand.
In Filmen brüllten die Cops immer: »Halt! Polizei!«, und das nicht nur, wenn sie wussten, dass die davonrennenden Schurken ihnen ohnehin nicht gehorchen würden. Sie taten es auch, wenn sie dadurch ihre Anwesenheit verrieten, bevor es wirklich notwendig war und sogar bevor irgendein böser Bube in der Geschichte überhaupt gemerkt hatte, dass Bullen mit im Spiel waren.
Hazard Yancy hingegen wäre zwar soeben fast auf einer Sesselkante hockend zur Zielscheibe geworden, aber er bellte dem Revolverhelden, der Rolf Reynerd erschossen hatte, weder einen Befehl noch eine Drohung zu. Er stürzte einfach hinter ihm her.
Als Hazard den mittleren Treppenabsatz erreicht hatte, war der Killer bereits am unteren Ende angelangt, wo er etwas aus dem Gleichgewicht geriet, als er polternd von der letzten Stufe in den Hausflur sprang. Er schlitterte über die mexikanischen Fliesen und ruderte wild mit den Armen, um nicht hinzufallen.
Während der Bursche weiterrannte, sah er sich kein einziges Mal um. Offenbar hatte er gar nicht gemerkt, dass er verfolgt wurde.
Mitten im Laufen konnte Hazard sich vorstellen, was im Kopf seiner Beute vorging. In der Annahme, dass Reynerd allein zu Hause sitzt, läutet der gedungene Killer an der Tür seines Opfers, um kurzen Prozess zu machen. Er erledigt den Job mit einem glatten Schuss ins Herz, vermeidet es dabei, gesehen zu werden, und macht sich schleunigst wieder davon. Nun denkt er schon daran, sich mit der langbeinigen Süßen, die in seinem Bettchen auf ihn wartet, einen dicken Joint reinzuziehen.
Im selben Augenblick, in dem der Killer die Haustür aufstieß, landete Hazard im Flur, aber der Killer machte zu viel Lärm, um hören zu können, dass von hinten Unheil nahte; und da Hazard im Gegensatz zu ihm nicht ins Trudeln gekommen war, holte er auf.
Als Hazard die Tür erreichte, war der Killer bereits draußen in der Nacht. Während er die Treppe zur Straße hinunterrannte, überlegte er möglicherweise, ob er mit dem Kopfgeld lieber schicke Chromkappen für die Räder seines Schlittens kaufen oder seine Süße mit einem hübschen Diamantring dekorieren sollte.
Kaum Wind, kalter Regen, Hazard auf der Treppe, der Killer auf dem Gehsteig: Die Lücke zwischen den beiden schloss sich so unweigerlich wie die zwischen einem dahinrasenden Lastwagen und einer Ziegelmauer.
Auf einmal plärrte eine Autohupe. Ein langer Ton, und dann zwei kurze.
Ein Signal. Vorher vereinbart.
Mitten auf der Straße, nicht am Bordstein, stand ein dunkler Mercedes-Benz mit eingeschalteten Scheinwerfern und laufendem Motor. Grauer Dampf quoll aus dem Auspuff. Die Beifahrertür stand offen, um den Killer aufzunehmen. Das war ein Fluchtfahrzeug mit Stil, vielleicht aus einer Garageneinfahrt in Beverly Hills entwendet, und am Lenkrad saß der Komplize des Killers, ein guter Kumpel, allzeit bereit, das Gaspedal durchzutreten, um mit quietschenden Reifen die Fliege zu machen.
Der lange Hupton und die beiden kurzen hatten dem Hasen offenbar mitgeteilt, dass ihm der Fuchs auf den Fersen war. Der Killer sprang nämlich plötzlich nach links vom Gehsteig herunter. Er wirbelte so schnell herum, dass er um ein Haar gestolpert und gestürzt wäre, was er aber nicht tat. Stattdessen hob er die Waffe, mit der er wohl auch Reynerd umgelegt hatte.
Da Hazard nun nicht mehr auf den Überraschungseffekt zählen konnte, brüllte er endlich genau wie im Film: »Polizei! Waffe fallen lassen!« Leider hatte der Killer sich durch den Mord an Reynerd bereits lebenslänglich ohne Chance auf bedingten Straferlass verdient, wenn nicht gar die Todesstrafe, weshalb er nichts mehr zu verlieren hatte. Er würde seine Waffe genauso wenig fallen lassen wie auf den Einfall kommen, sich die Hose herunterzuziehen, um Hazard das nackte Hinterteil zu präsentieren.
Der Revolver sah groß aus, nicht wie eine .38er oder .357er, sondern wie eine .45er. Mit der entsprechenden Munition geladen, war eine derartige Waffe problemlos in der Lage, Knochen zu zerschmettern und Hackfleisch fürs Bestattungsinstitut zu machen, aber man musste beim Schießen sicher stehen und sich darauf vorbereiten, den Rückstoß zu kompensieren.
Als der Killer abdrückte, tat er das jedoch in ungünstiger Haltung und
Weitere Kostenlose Bücher