Der Wächter
Pinot Noir, Bordeaux, Portwein, Burgunder – und hier das Blut von Kritikern, ein ganz bitterer Jahrgang.«
Ha, ha, ha.
Wenn der Schattenpapa zu Hause war, aßen sie meist im Speisezimmer, außer die Essensgäste – Freunde, Geschäftspartner und verschiedene persönliche Ratgeber von Channing Manheim, darunter dessen spiritueller Mentor und sein Lehrer für hellseherische Techniken – fühlten sich unbehaglich, wenn ein zehnjähriger Junge ihrem Geschwätz lauschte und die Augen über den Bockmist rollte, den sie von sich gaben.
In Abwesenheit des Schattenpapas, also meistens, hatte Fric die Wahl, ob er das Abendessen in seinen Privaträumen einnehmen wollte, was er gewöhnlich auch tat, oder an fast jedem anderen Ort auf dem Anwesen.
Bei gutem Wetter konnte er draußen am Swimmingpool speisen und dem Himmel dafür danken, dass in Abwesenheit seines Vaters keine hoffnungslos beschränkten, furchtbar albernen und peinlicherweise halb nackten Starlets herumhockten und ihn mit Fragen über sein Lieblings-fach in der Schule, seine Leibspeise, seine Lieblingsfarbe und seinen Lieblingsstar im internationalen Filmgeschäft löcherten.
Außerdem versuchten sie immer, Fric um Ritalin oder Antidepressiva anzuschnorren. Sie glaubten ihm einfach nicht, dass man ihm ausschließlich Asthmamittel verschrieben hatte.
Statt am Pool zu sitzen, konnte Fric auch das Risiko eingehen, sich im Rosengarten einen Tisch mit edlem Porzellan und antikem Silberbesteck decken zu lassen. Dann lag auf einem Dessertteller allerdings sein Inhalator bereit, falls ihm ein Windhauch so viele Pollen in die Nase blies, dass diese einen Asthmaanfall auslösten.
Manchmal machte er es sich auch in einem der Sessel des Vorführraums bequem und ließ sich dort das Essen auf einem Tablett servieren. Als der Raum kürzlich renoviert worden war, hatte der Architekt sich von dem opulenten Art-déco-Schmuck des Pantages-Theaters in Los Angeles inspirieren lassen.
Der Gerätepark des Vorführraums war in der Lage, Kinofilme, sämtliche Videoformate, DVDs sowie die Signale von Fernsehsendern zu verarbeiten und auf eine Leinwand zu projizieren, die größer als die so manches durchschnittlichen Multiplex-Saales war.
Wenn Fric nur Videos oder DVDs betrachten wollte, konnte er auf die Hilfe eines Vorführers verzichten. Er setzte sich dann einfach in der mittleren Reihe auf den Sessel neben dem Steuerpult, wo er alles selbst in der Hand hatte.
Manchmal, wenn er wusste, dass der Raum gerade nicht gereinigt werden sollte und dass sicher niemand nach ihm suchen würde, schloss er die Tür ab, um ungestört zu bleiben, und legte einen Film seines Vaters in den DVD-Spieler.
Dabei beobachtet zu werden, wie er sich einen Film des Schattenpapas ansah, war unvorstellbar.
Nicht, dass die Filme ätzend gewesen wären. Manche waren das natürlich, weil kein Filmstar jedes Mal in Topform war. Aber manche waren ganz in Ordnung. Manche waren cool. Einige waren sogar richtig toll.
Wäre Fric aber dabei beobachtet worden, wie er sich unter solchen Umständen die Filme seines Vaters ansah, dann hätte ihn die Nationale Akademie der Naffel zum »Größten Naffel des Jahrzehnts« – wenn nicht gar des Jahrhunderts – gewählt. Und der Klub der lausigen Loser hätte ihm eine lebenslange kostenlose Mitgliedschaft gewährt.
Monsieur Hachette, der psychopathische Oberkoch mit verwandtschaftlichen Beziehungen zur Familie Frankensteins, hätte ihn höhnisch angegrinst und hinterhältige Vergleiche zwischen Frics spindeldürrer Gestalt und dem muskulösen Körperbau von dessen Vaters gezogen.
Jedenfalls saß Fric gelegentlich allein auf einem der sechzig Sessel im Dunkel, über sich die zehn Meter hohe, reich verzierte Art-déco-Decke, und sah sich auf der riesigen Leinwand einen Film des Schattenpapas an. Aus den Lautsprechern drang Dolby-Surround-Sound.
Bestimmte Filme sah er wegen ihrer Story, obwohl er sie schon oft gesehen hatte, andere schätzte er wegen ihrer explosiven Spezialeffekte.
Wie immer bei den Rollen seines Vaters hielt Fric aber auch Ausschau nach Szenen, in denen das zum Vorschein kam, was Channing Manheim für Millionen Menschen auf der ganzen Welt so liebenswert machte: seine Wesenszüge, sein Charme, sein Mienenspiel und seine schauspielerischen Tricks.
In den besseren Filmen gab es viele solcher Augenblicke. Aber selbst in den allermiesesten Streifen fanden sich Szenen, in denen man den Kerl einfach mögen und bewundern musste und sich sehnlichst
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