Der Wächter
wünschte, einmal einen Abend mit ihm zu verbringen.
Über die schönsten Szenen von Manheims besten Filmen hatten Kritiker geschrieben, Frics Vater habe etwas Magisches an sich. »Magisch« klang zwar dämlich, peinlich und nach schnulzigem Mädchengewäsch, war aber trotzdem das richtige Wort.
Sah man Channing Manheim auf der großen Leinwand, so kam er einem manchmal lebendiger und echter vor als alle Leute, die man je getroffen hatte und jemals treffen würde.
Diesen intensiven Eindruck konnte man weder mit der Übergröße des projizierten Bilds noch mit dem visuellen Genie des Kameramanns erklären. Auch die Detailtreue der digitalen Technik und die Brillanz des Regisseurs – die meisten waren nicht brillanter als eine Pellkartoffel – waren offenkundig nicht dafür verantwortlich. Die meisten Schauspieler, auch die großen Stars, verfügten selbst dann nicht über Manheims Magie, wenn sie mit den besten Regisseuren und Technikern zusammenarbeiteten.
Wenn man ihn dort oben sah, schien er überall gewesen zu sein, alles gesehen zu haben und alles zu wissen, was es zu wissen gab. Er kam einem weiser, liebevoller, lustiger und tapferer vor als jeder andere Mensch auf der Welt – so als lebte er in sechs Dimensionen, während alle anderen sich mit gerade einmal drei zufrieden geben mussten.
Bestimmte Szenen hatte Fric immer wieder studiert, viele Male, in manchen Fällen vielleicht hundertmal und mehr, bis sie ihm genauso wirklich vorkamen wie die Stunden, die er tatsächlich mit seinem Vater verbracht hatte.
Ab und zu, wenn Fric todmüde zu Bett ging, sich aber nur an der dämmrigen Grenze des Schlafs bewegte, oder wenn er mitten in der Nacht halb aufwachte und auf der Oberfläche eines vorübergehend erstarrten Traums dahinglitt, kamen ihm diese Filmszenen mit seinem Vater tatsächlich real vor. Dann waren sie keine Erinnerung an etwas, was er einmal in einem Kinosessel gesehen, sondern wirkliche Erlebnisse, die er mit seinem Vater gehabt hatte.
Diese Träumereien im Halbschlaf gehörten zu den glücklichsten Augenblicken in Frics Leben.
Hätte er allerdings irgendjemandem erzählt, dass sie zu den glücklichsten Augenblicken seines Lebens zählten, dann hätte der Klub der lausigen Loser ihm natürlich sofort ein zehn Meter hohes Denkmal errichtet, auf dem sein unkämmbares Haar und sein magerer Hals besonders gut zur Geltung gekommen wären. Aufgestellt hätte man es wahrscheinlich auf dem Hügel, den der berühmte Hollywood-Schriftzug zierte.
Auch an diesem Montagabend hätte Fric irgendwie lieber im Vorführraum gegessen und zugeschaut, wie sein Vater irgendwelchen Schurken die Hölle heiß machte, um ein voll besetztes Waisenhaus zu retten, aber er speiste im Weinkeller. Im vorweihnachtlichen Rummel fand man anderswo im Palazzo Rospo kaum Ruhe.
Ms. Sanchez und Ms. Norbert, die im Haus wohnenden Dienstmädchen, waren schon seit zehn Tagen im vorgezogenen Weihnachtsurlaub. Sie würden erst am Morgen des
24. Dezember, am Donnerstag also, zurückkehren.
Mrs. McBee und Mr. McBee fuhren für Dienstag und Mittwoch nach Santa Barbara, um dort mit ihrem Sohn und dessen Familie vorab Weihnachten zu feiern. Auch sie kamen am 24. Dezember in den Palazzo Rospo zurück, um dafür zu sorgen, dass der größte Filmstar der Welt mit dem angemessenen Pomp empfangen wurde, wenn er am Nachmittag aus Florida eintraf.
Am heutigen Montagabend machten die vier anderen Hausmädchen und die Hausmeister daher Überstunden, streng beaufsichtigt von den emsigen McBees. Unterstützt wurden sie von allerhand zusätzlichen Arbeitskräften, darunter ein sechs Mann starkes Spezialteam für die Pflege von Marmor- und Kalksteinböden und eine achtköpfige Brigade für das Anbringen des weihnachtlichen Schmucks. Eine wachsame Fengshui-Spezialistin sorgte dafür, dass das Arrangement der verschiedenen Weihnachtsbäume und Girlanden nicht den korrekten Energiefluss der Villa störte.
Wahnsinn.
Weit entfernt vom Summen der Bohnermaschinen und dem fröhlichen Lachen der weihnachtsseligen Dekorationsbrigade hatte Fric in der Tiefe des Weinkellers Zuflucht gefunden. Umgeben von Backsteinmauern und einer niedrigen, gewölbten Ziegeldecke, hörte er keine anderen Geräusche als sein Schlucken und das Klappern seiner Gabel auf dem Teller.
Und dann: Uuudilih-uuudilih-uh .
Gedämpft, aber hörbar läutete das Telefon im Innern eines der Fässer.
Weil die Temperatur im Probierraum zu hoch für die eigentliche Lagerung von Wein war,
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