Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)
Miete schuldig.
Die letzte Phase im Dasein des ›armen Poeten‹ war alles andere als ›romantisch‹, sein Zimmer bestimmt keine Spitzwegidylle. Dies zeigt ein Brief, den der alte Freund Schnorr von Carolsfeld im Dezember 1808 an Böttiger gerichtet hat, als wolle er über die Epochen hinweg auch uns beschreiben, wie es Seume damals ging: »Denken Sie sich, verehrtester Freund, S. sitzend mit dem Rücken gegen einen Garderobenschrank in einem großen schwarzen Armstuhl, auf dessen Lehne ein reiches adeliges goldenes Wappen sich befindet. Er selbst mit einem dicken schwarzen Bart, comme il faut, um Mund und Kinn und Wangen, angetan mit einem Pelz ohne Überzug […] Vor ihm steht ein Tisch, auf welchem seine Uhr, ein Topf mit Sophokles bedeckt, damit keine Mücke hineinfalle, ein silberner Löffel und eine silberne Klingel sich befinden. Ihm zur Seite rechts steht anstoßend an den Kleiderschrank das Repositorium mit seinen Griechen, und vor ihm das Bette mit eisernem Gestelle. Das Thermometer am Ofen und die Arzneiflasche auf dem Bücherbord unter den Griechen nicht weit vom Aristophanes«.
Etwa zur gleichen Zeit schrieb auch Seume an Böttiger, ohne zu hadern, doch mit einem Sarkasmus, dessen Schärfe man die Schmerzen anmerkt, die er doch nicht forthöhnen konnte:
»Irgend ein Kakodämon hat mir eine ganze Kohorte Unheil in den Unterleib gejagt […] Das soll ich nun mit Ricinusöl und Kalkwasser und Bärentraube und einer erschrecklichen Diät wieder heraus kasteien. […] Da sitze ich nun und starre halbdumm hinaus ins Weiße, verschnupfe die Tage und verpisse blutig die Nächte, voll Grämlichkeit und Ärger, wenn ich nicht zuweilen über meine und anderer heterogene Jämmerlichkeit lache.«
Schon im Februar hatte er Böttiger geklagt:
»Ein Drittel von mir ist gestorben, ein Drittel versauert, und das dritte ist fast nichts als cynischer Murrsinn.«
Gleichwohl schrieb er nicht nur weiter, wenn es ihm gerade möglich war, sondern versuchte, sich auch um das Geschriebene zu kümmern. Im Juli 1808 teilte er Cotta mit:
»Ich habe zu meiner Selbstunterhaltung Apokryphen allerlei Inhalts geschrieben: daraus schicke ich Ihnen das Mildeste, wenn Sie es vielleicht brauchen können.«
Aber mit den Apokryphen ging es Seume wie mit der Vorrede zu seinem Plutarch. Sie blieben zu Lebzeiten ungedruckt. Mit dem Stück Miltiades , mehr eines zum Lesen als zum Aufführen, hatte er mehr Glück. Ebenfalls im Sommer 1808 schickte er das Manuskript, an dem er seit dem Winter des Vorjahres »nicht ohne Liebe gezimmert und geputzt« hatte, an Hartknoch. Schon im Dezember konnte er seinem alten Förderer Graf Hohenthal ein druckfrisches Exemplar schicken. Hohenthal dankte »in Eil« am Vorweihnachtstag, bedauerte, dass Seumes Philosophie seiner Gesundheit zu Hilfe kommen muss und wünschte dem früheren Schützling, er möge »bald wieder hergestellt sein«.
Im Dezember 1808 bahnte sich die Bekanntschaft mit Elisa von der Recke an. Sie schickte Seume Lebensmittel auf die ›Bude‹, und nachdem er weiteren Lieferservice wegen der Diätvorschriften freundlich zurückgewiesen, aber versprochen hatte, sich persönlich zu bedanken, sobald er »einigermaßen etwas wieder flott« sei, schrieb sie in ihrer Antwort, sie habe es nur gut gemeint: »Doch ist mir der Wille des teuren Kranken heilig, den ich, ohne ihn persönlich zu kennen, als meinen Seelenverwandten betrachte […] Mit Sehnsucht sehe ich der Stunde entgegen, wo Sie es mir im Umgange abmerken werden, wie hoch ich Sie achte, wenn gleich ich mich hüte, meinen Freunden Freundschaftsversicherungen zu geben. Worte lieben Sie, edler Mann, gewiss eben so wenig als ich, und so sei auf Zukunft unsere Freundschaft durch Handlungen geknüpft.«
Elisa übertrieb mit ihren Worten nicht und hielt mit ihren Handlungen das Versprechen, auch wenn sie bei den Worten untertrieb: Auf die war Seume in Wahrheit genauso versessen wie sie selbst.
Elisa hieß eigentlich Charlotte, war eine geborene Gräfin Medem, die geschiedene Frau eines kurländischen Aristokraten und aus beiden Gründen finanziell wohltuend unabhängig. Sie schrieb Gedichte, die alle für schlecht hielten außer Christoph August Tiedge, ihr ›Reisebegleiter‹, vulgo: Lebensgefährte. Elisa machte sich insofern um die Literaturgeschichte verdient, als sie sich um Literaten kümmerte, die es, wie Seume, dringend nötig hatten. Sie reiste gern, allerdings auf anderem Niveau als der Wanderer, und webte zwischen Dichtern und
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