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Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Titel: Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Preisendörfer
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Denkern ihre Beziehungsfäden. Es gab Leute, die ihr vorwarfen, sie sammle Berühmtheiten, aber das scheint diese umtriebige und freisinnige Frau nur angespornt zu haben, diesem Vorwurf auch gerecht zu werden. In ihren frühen Dreißigern hatte sie eine Affäre mit dem falschen Grafen Cagliostro, dem Abenteurer, Goldmacher und Schwarzkünstler, der in die Halsbandaffäre der Marie Antoinette verwickelt war – jene Affäre, die in den Jahren vor der Revolution die wenig geliebte »Österreicherin« in Frankreich zusätzlich in Misskredit gebracht hatte. Als Elisa sich Seumes annahm, war sie Anfang fünfzig, und der ergebene Tiedge seit einem halben Jahrzehnt ihr ständiger Begleiter: ebenjener Tiedge, selbst ein Lyriker, der für die von Seume nicht autorisierte Veröffentlichung des autobiographischen Gedichts Kampf gegen Marbona bey der Genesung niedergeschrieben v. J.G.S. im Februar 1809 verantwortlich war.
    Im Mai 1809 sah sich Seume gezwungen, ein Versprechen zu brechen, das er sich selbst coram publico in der Vorrede zum Spaziergang gegeben hatte:
»Ich habe mich in meinem Leben nie erniedriget, um etwas zu bitten, das ich nicht verdient hatte; und ich will auch nicht einmal immer bitten, was ich verdiente.«
    Die Bemerkung fällt nach einem kurzen Bericht über den »förmlichen ehrenvollen Abschied« aus russischen Diensten, den Seume mühsam hatte erstreiten müssen und der nicht mit einer Pensionszahlung verbunden gewesen war. Um eine solche nun doch zu erlangen, wandte sich Seume im Mai 1809 an Friedrich Maximilian von Klinger, dem er auf seiner »nordischen Reise« vier Jahre zuvor begegnet war:
»Hochwohlgeborener Herr,
Hochzuverehrender Gönner.
Es kostet meiner Sinnesart viel Überwindung, Ew. Hochwohlgeboren Wohlwollen in Anspruch zu nehmen; aber ich bin genötigt, und es ist meine einzige ehrenvolle Ausflucht. Ich hoffe, dass Sie sich Ihres alten Syrakusischen Wandlers noch mit Güte erinnern. Bis in das sechsundvierzigste Jahr war meine Gesundheit musterhaft. Seit einem vollen Jahre leide ich an einem Übel, das mich nur halb leben lässt. Hämorrhoidalzufall mit hartnäckiger Blasenentzündung haben mich zum Skelett meines alten Wesens gemacht. Aber Strapazen und im Dienst nicht fehlende und vernächlässigte Erkältungen haben die Krankheit erzeugt und so heillos verschlimmert. Den ganzen vorigen Sommer habe ich gekränkelt und wenig arbeiten können, der Winter ist unter heftigen Schmerzen vergangen und bis jetzt zeigt sich wenig Besserung. Seit einem vollen Jahre habe ich nicht zwei Stunden ununterbrochen geschlafen, habe zuweilen täglich in der Frühe ein Nefel [einen Napf] Blut geharnt, zehn Wochen durfte ich nicht schreiben, nicht lesen und nicht reden, und auch jetzt geschieht alles nur kurz und mit großer Anstrengung […] Ich habe keinen Heller Vermögen, kein Amt, kein anderes Erwerbsmittel. Als Siechling kann ich also nicht leben: arbeiten kann ich nicht und betteln mag ich nicht. Meine Freunde würden mich wohl nicht Hunger und Not leiden lassen; aber wer kann in der Länge diese Art von Fristung ertragen. Ihro Maj. [der Zar] ist der einzige Mensch der Erde, den ich einigermaßen als einen Schuldner anzusehen berechtigt bin. Es war eine Zeit, wo ich wesentlich wichtige Dienste leistete; darunter Dinge, die mancher Oberst nicht arbeiten konnte. […] Würden Sie die Güte haben, meine Sache dem Kaiser vorzutragen und zu hören, ob ich einige Hoffnung habe, dass die Notdurft mir bald geschickt werde.«
    Klingers Antwort fiel niederschmetternd aus: »Mit dem größten u. innigsten Bedauern, mein wackrer, edler Seume, hab’ ich Ihren traurigen Brief gelesen, und mit welchem Gesicht ich Ihnen nun antworte, werden Sie, da ich glaube, von Ihnen gekannt zu sein, daraus schließen, wenn ich Ihnen sagen muss, dass ich zur Erfüllung Ihres Wunsches nichts beitragen kann.«
    Der Einfluss Klingers in Petersburg war geschrumpft, und sein Zugang zur Macht hatte sich verengt. Er hätte wohl nichts für Seume tun können und wollte seine schwierige Situation nicht durch ein ohnehin aussichtsloses Unterfangen weiter verkomplizieren. Enttäuscht wandte sich Seume an Wieland. Der kluge alte Mann »will Klingern nicht von allem Vorwurf freisprechen«, entschuldigt ihn aber damit, »dass sein ehemaliger Kredit aus Ursachen, die ihm wahrscheinlich mehr Ehre als Schande machen, bei Hofe sehr gefallen sein soll«.
    Das Wichtigste aber ist: Wieland nimmt die Fäden in die Hand – diejenigen zwischen den

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