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Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Titel: Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Preisendörfer
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Hofdamen in Weimar und Petersburg. Seume möge eine Eingabe an die Zarin aufsetzen und durch eine autobiographische Skizze für Wieland ergänzen. Die Eingabe würde Wieland persönlich mit der Bitte um Weiterleitung an Maria Pawlowna überreichen, die Gattin des Weimarer Erbprinzen Carl Friedrich und Schwester von Zar Alexander.
    Seume setzt das Gesuch auf, nicht ohne daran zu erinnern, dass er von der Zarin einmal »mit vorzüglicher Huld« empfangen worden sei. Er bittet und beugt sich, und erhebt doch tapfer gleich wieder das Haupt:
»Ich kann nicht bergen, dass ich es für die Pflicht des Kaisers, ihres Sohnes, halte, sich meiner anzunehmen.«
    Schließlich kommt er sogar auf das Verbot von Mein Sommer in Russland zu sprechen, wenn auch ohne die Sache direkt beim Namen zu nennen:
»Was vielleicht gegen mich gesagt wird, das kann ich getrost mit der heiligsten Pflicht für Wahrheit und Recht, deren Beschützerin Ew. Majestät gewiss sind, verteidigen; und wenn etwas geopfert werden muss, so opfere ich doch eher Glück und Leben als Überzeugung und Charakter.«
    Wieder einmal bleibt Seume sich treu und beharrt noch in seiner Not auf der Ehre, nie seine Gesinnung zu verleugnen. Man kann das Sturheit nennen, mangelnde Flexibilität, Prinzipienreiterei, närrische Unbeugsamkeit – oder Überzeugungsstärke, Integrität, moralische Tapferkeit. Je nachdem, wie das Urteil ausfällt, gibt es immer auch Auskunft über den Urteilenden. Wieland in seinem kopfschüttelnden Großmut nannte den Brief »etwas sonderbar stilisiert«. Er war mit seinem Einsatz erfolgreich, kam aber zu spät. Als er positiven Bescheid aus Russland erhielt, um ihn an Seume weiterzuleiten, war dieser gerade gestorben. Betrübt schreibt Wieland an Böttiger: »Wie große Ursache Er [Seume] hatte, sich über den [die] Neckereien einer bösartigen Fortuna, die ihn durch sein ganzes Leben verfolgten, zu beschweren, davon ist wohl der stärkste Beweis, dass mir nur zwei Tage, nachdem ich die traurige Nachricht von seinem Tod von Ihnen erhielt, eine Depeche mit einer […] äußerst graziösen Antwort der K[aiserin] M[utter] auf einen in der Tat etwas sonderbar stilisierten Brief unseres sel[igen] Freundes an sie, zugleich mit der positivsten und reelsten Versicherung eines Jahrgehalts […] von unserer Frau G[roß] F[ürstin] zugestellt wurde«.
    Im Juni des Vorjahres hatte Seume noch die Einladung zur Sommerfrische auf einem Landgut in Connewitz angenommen, wenn auch mit sehr zurückhaltenden Hoffnungen, wie er Cotta wissen ließ:
»Weiß der Himmel, ob der Sommer so viel gut machen wird, als der Winter zu verderben droht.«
    Die Skepsis war berechtigt. Die Landluft brachte Seume nicht wieder auf die Beine. Im August 1809 klagte er bei Hartknoch:
»Mich däucht, meine Freunde überlassen mich nach und nach mir selbst und tun wohl daran: jeder für sich. Auch würde mich Mitleid bald töten. Wenn mir dieser Sommer nicht wohl tut, bin ich ein verlassener Mann, und ich sage Ihnen, ich fürchte mich mehr vor dem Leben als vor dem Tode.«
    Gegen Ende des Jahres 1809 konnte er Böttiger endlich Besserung melden nach einem etwas matten Kalauer über den noch einmal verschobenen Tod:
»Man hat Ihnen, wie ich höre, geschrieben, dass ich wohl mit dem Blätterfalle hinfallen würde. Die guten Leute haben das geglaubt, und ich habe es gewünscht. Das wird nun aber wahrscheinlich für diesmal nicht geschehen; denn meine Gesundheit bessert sich seit ungefähr vier Wochen so merklich, dass Hoffnung zu einer leidlichen Genesung eintritt. […] Das Schicksal macht es mir nun mehr schwer, meinen Charakter durchzutragen: aber ich werde es, und sollte ich auch meine Zuflucht zu den letzten stoischen Mitteln nehmen. Es kommt mir vor, als ob viele meiner Freunde sich teils merklich, teils sehr leise zurückzögen. Das hat niemand nötig; ich hoffe nie gezwungen zu werden, jemand im gewöhnlichen Sinne des Wortes beschwerlich zu fallen.«
    Im Februar 1810 schrieb er Wieland einen Brief, aus dem Dankbarkeit darüber klingt, doch jemandem »beschwerlich fallen« zu dürfen:
»Eine Freundin […] habe ich mir hier in der Frau von der Recke gewonnen. Die Frau hat weit mehr Geist als ich glaubte und nach ihrer Geschichte mit Cagliostro zu glauben befugt war; aber ihr moralisches Wesen ist eines der reinsten und schönsten, das ich habe kennen lernen. Sie nimmt sich meiner mit wahrhaft großmütiger Seele an und ihr und Tiedges Umgang, der bei ihr lebt, erheitert mir viele

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