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Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Titel: Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Preisendörfer
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ihm die Stätte, wo er krank gelegen hatte, auch zum Sterben zu lassen. Während man indes noch über diesen irdischen Wohnungswechsel stritt – löste Seume selbst den Knoten, brach seine morsche Hütte ab, und vertauschte die irdische Wohnung mit der friedlichen und seligen im Schoße seines Schöpfers.«

Nachruhm

    In der Leipziger Zeitung , ebenjener, die beinahe dreißig Jahre zuvor Seumes Verschwinden aus der Stadt gemeldet hatte, gaben Schnorr von Carolsfeld und Göschen bekannt: »Den 13. Juni starb Seume in Töplitz. Die Frau Gräfin von der Recke, Tiedge und Clodius sorgten für ihn.«
    Das letzte Wort über einen Toten haben die Lebenden. Clodius sprach sein erstes letztes Wort an Seumes Grab, wiederholte es in seiner Nachschrift zu Seumes Leben , machte 1812 »Noch einige Worte über Seume« in der Minerva und ließ 1819 noch mehr folgen in einer von ihm besorgten Ausgabe der Apokryphen .
    Die Grabrede wurde gehalten im Beisein Elisas von der Recke und Tiedges, etlicher anderer Freunde sowie anteilnehmender Kurgäste, darunter Professor Fichte mit Gattin. »Ach«, sagte Clodius bei Seumes Begräbnis und schrieb es ihm ins Leben : »der rauhe Sohn der Natur, mit gradem Blick, mit dem tiefsten, brennendsten Gefühle des Rechts im Herzen, und dieses Herz auf der Zunge tragend, konnte seine Menschen nur zürnend, nur murrend lieben.«
    In der Minerva schrieb Clodius: »Besonders sind solche von ihrem Schicksale wunderlich geführte Autodidakten, die sich zu einer gewissen literarischen Bildung von selbst emporschwingen, die Lieblinge des Volkes, und finden teilnehmende Freunde unter allen Ständen, weil ihr Beispiel jedem zum Trost gereicht, und beweist, was der Mensch durch sich selbst vermöge.« Die Bemerkung vom »wunderlich geführten Autodidakten« ist etwas wunderlich geführt. Seume hatte höhere Schulen besucht, studiert und das Studium im zweiten Anlauf auch abgeschlossen. Autodidaktisch kann man das nicht nennen. Und Clodius meint eigentlich auch etwas anderes, nämlich dass Seume eine intellektuelle Sozialisation erfahren hatte, wie man es heute ausdrücken würde, die für seinesgleichen eine Ausnahme war – und zwar eine in der Regel (!) eben tatsächlich autodidaktische Ausnahme. Clodius meint weiterhin, Seume sei ein ewiger Dilettant gewesen und habe auch nie etwas anderes werden wollen.
    Daran ist etwas – Halbwahres. Der fröhliche Dilettantismus der Aufkärung mit dem schönen Hang zur selbstbewussten Selbsterziehung war gegen Ende des Jahrhunderts längst auf dem Rückzug vor einem sich in immer kleinere Gebiete verzweigenden Expertentum. Der melancholische Dilettantismus der Frühromantik wiederum mit dem ästhetisierenden Kult ichfixierter Innerlichkeit musste dem Weltmenschen Seume fremd bleiben. Er stand so sehr zwischen den Zeiten und außerhalb der sogenannten normalen Verhältnisse, dass er nicht einmal im Dazwischen- und Außerhalbstehen einer literarischen Gruppe oder geistigen Strömung zuzuzählen ist. Seume ist nicht gegen den Strom geschwommen, sondern aus ihm herausgestiegen. Und gelegentlich hat er hineingespuckt.
    Darauf konnte ein Mensch wie Clodius trotz seiner Verdienste um den Menschen Seume nur mit dem Öffnen einer Schublade reagieren, auf der »Original« geschrieben stand: »Seumes Denkart war nicht überall so originell wie sein Schicksal«, schreibt er in seiner Ausgabe der Apokryphen von 1819, und ergänzt, dass »Seumes Subjektivität immer noch für weit interessanter gehalten worden ist, als das Resultat seiner schriftstellerischen Bemühungen«. Man kann einen Schriftsteller auch dadurch erledigen, dass man ihn zum interessanten Menschen macht.
    Seumes ehemaliger Chef und stets treuer Freund Göschen betonte in seinem Nachruf in der Zeitung für die elegante Welt vom 28. Juni 1810 ebenfalls diese Seite: »Seume hat endlich durch sich selbst sein Schicksal bezwungen. Allgemeine Achtung, Liebe und Freundlichkeit guter Menschen in allen Klassen, von den Fürsten bis zu den Handwerkern herab, haben ihm die Leiden seiner früheren Jahre vergolten. Auch bezwang er sich selbst, dass der Unwille und [das] Misstrauen gegen die Zeitgenossen nicht überging auf die einzelnen. […] Wer war ein teilnehmenderer Freund im Glück und Unglück, als er? Wenn ich […] krank war, kam er, der selbst nur noch schleichen konnte, zuerst an mein Bett und schied nie von mir, bis er meinen Geist erheitert hatte. Wer hat zarter und tiefer empfunden als er, der ernste, oft

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