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Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Titel: Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Preisendörfer
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bei dem marmornen Mädchen etwas außer mir bin; und so mag es allerdings sein.«
Vor der wiederverwerteten Stelle im Buch steht wie im Brief ein Gedicht:
»Ich stand, von süßem Rausche trunken,
Wie in ein Meer von Seligkeit versunken,
Mit Ehrfurcht vor der Göttin da,
Die hold nach mir herunter sah,
Und meine Seele war in Funken:
Hier thronte mehr als Amathusia.
Ich war der Sterblichkeit entflogen,
Und meine Feuerblicke sogen
Aus ihrem Blick Ambrosia«.
Im Briefgedicht von unterwegs waren die Blicke »still«, beim Abfassen des Spaziergang zu Hause fingen sie Feuer.
Das Feuer brannte noch, als Seume 1805 nach Osten und Norden kutschierte und in Dresden einem Satyr begegnete, dem die Hebe nachgehauen wurde. Jedenfalls vermutet das Seume: »Es ist mir ziemlich wahrscheinlich, dass Canova die schöne Stellung seiner Hebe von dem jungen Faun zu Dresden genommen hat.«
Die Hebe des klassizistischen Bildhauers Antonio Canova (1757–1822), seit 1799 Hofkünstler des von Seume leidenschaftlich geschmähten Napoleon, treibt sich in der ganzen Welt herum. Der Originalgips steht im italienischen Bassano. Die von Seume bedichtete erste Marmorfassung war 1800 nach Venedig gebracht worden und steht heute in der Alten Nationalgalerie Berlin – ewig jung wie eh und je, aber abgeschminkt. Von den ursprünglichen Farbtönungen blieb nichts erhalten. Weitere Repliken befinden sich in der Eremitage in St.Petersburg, in Schloss Chatsworth (England) und in der Pinacoteca Civica in Forli. Hier ist die steinerne Wolke in steinernen Stein verwandelt: Hebe schreitet vom Fels. Wolke und Marmor waren nach Meinung der Kunstrichter ästhetisch unverträglich, und auch ein Canova hielt es für besser, sich zu beugen. Zur Belohnung wurde das Marmormädchen europaweit beliebt, verjüngte sich zur halben Größe (Fockemuseum, Bremen), vermehrte sich in Zink- und Bronzeabgüssen und verkörperte sich auch unter Bertel Thorvaldsens Meißel. Hier hält sie keine Karaffe, sondern einen Krug in der Hand, und der Arm ist nicht über den Kopf erhoben, sondern hängt züchtig und matt am Körper herab. Ein Abguss dieser Variante steht seit den 1960er-Jahren in einer Grotte vor dem Pavillon, den Seumes zeitweiliger Chef, der Verleger Göschen, im Garten seines Landhauses in Grimma-Hohnstädt hatte errichten lassen.
    Den ersten Ausbruchsversuch machte Seume Anfang März 1798. Veranlasst durch einen Tadel seines Arbeitgebers Göschen, bittet er in einem Brief um seine Entlassung, wenn er auch nicht einfach hinwirft:
»Haben Sie die Güte, gelegentlich an einen Mann zu denken, der die Arbeit, die Sie mir übertragen haben, mit besserer Genauigkeit besorgen kann. Für die Bedingungen, die Sie mir zugestanden, werden Sie leicht Subjekte finden, welche die erforderlichen Eigenschaften besitzen. Nehmen Sie dieses nicht für Empfindlichkeit; es ist Überzeugung, dass es so gut ist für Sie und für mich. Ich will Sie auch nicht übereilen; denn ich will, bis Sie versorgt sind, wenn es möglich ist, mit besserm Fleiß, alles besorgen.«
    Was da zu besorgen ist, kann einem wirklich auf die Nerven, an die Nieren und ans Zwerchfell gehen:
»Ich sitze manchmal von früh Sieben bis nach Fünf Nachmittags, ziemlich ununterbrochen, und bohre auf dem Papiere herum. Meine eigenen Gedanken hindern mich oft, indem sie den Autor anders festhalten und verfolgen als sie sollten. Sehr leicht, dass die Silben- und Wortstecherei leidet, wenn meine Seele sich von irgend einem Gedanken oder einem Bilde nicht losreißen kann.«
    In einem englisch geschriebenen Brief legt er wenige Tage später noch einmal nach, weist Göschens Vorschlag, ihn nicht mehr nach Zeit, sondern nach korrigierten Bögen zu bezahlen, zurück und bedauert zugleich die durch das Neudrucken schlecht durchgesehener Bögen verursachten Zusatzkosten – an denen allerdings, auch das lässt er nicht unerwähnt, keineswegs nur er selbst, sondern auch der rechthaberische Klopstock Schuld trage, dessen Werk Seume neben dem Wielands betreute.
    Göschen reagierte, stellte Seume einen Hilfskorrektor an die Seite und schrieb einen Beruhigungsbrief an den Dichter: »Zu Ihrem Troste meld ich Ihnen daß mein voriger Correcktor Lorent, ein Mann einzig in seiner Art, der mir nach Grimma [wohin Göschen wegen zünftlicher Einschränkungen in Leipzig ausgewichen war] nicht folgen wollte, sondern in Leipzig blieb, sich nun entschloßen hat auch auf Michaelis nach Grimma zu kommen und daß dieser Umstand es werth ist den Druck

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