Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)
des Meßias bis zu Lorents Ankunft zu verschieben. Denn Seume, so schätzbar er von einer Seite als Correcktor und so durchaus treflich er als Mensch ist, hat durchaus kein Talent für das Buchstaben zählen und für die Correcktheit der Worte und Sylben.«
Dass dies generell so einfach nicht war, zeigt die orthographische Originalgestalt dieses Verlegerbriefs. Die Normierung von Rechtschreibung, Interpunktion und Grammatik war auf dem Weg, aber noch nicht durchgesetzt, und so kam es zwischen Korrektoren, besonders solchen mit philologischen Ambitionen wie Seume, und Autoren, besonders solchen mit philologischer Selbstüberschätzung wie Klopstock, immer wieder zu Auseinandersetzungen. Im Streitfall Seume versus Klopstock wurden die Klagen und Gegenklagen vor den recht wackeligen Richterstuhl des entnervten Göschen getragen; und stets ging es neben der Richtigkeit auch sehr ums Rechtbehalten.
Göschen gelang es, Seume in Grimma zu halten, einstweilen. Schon im Oktober 1798 fängt Seume wieder an zu jammern, etwa in einem Brief an Gleim:
»Wenn ich so fort korrigiere, fürchte ich nur, mein ganzes Leben wird ein Druckfehler werden.«
Im November schreibt er an Gleim:
»Jetzt schwärme ich nun im Geiste auf dem Ätna herum.«
Seume träumt von Syrakus, die Arbeit an Klopstocks Oden wird zum Albtraum. Im März 1799 schreibt er einen langen, langen Brief an den Meister. Und wird keiner Antwort gewürdigt. Im April sucht er einmal mehr Zuflucht bei Gleim:
»Wenn doch meine übrigen Verhältnisse so frei wären als mein Herz warm ist und meine Füße rasch sind, so hätt ich meiner Unruhe längst wieder durch eine Pilgerschaft ein Ende gemacht.«
Im Juni schreibt er an Böttiger, es wäre am besten, wieder Soldat zu werden, im Juli an Gleim:
»Ich finde sonst in nichts meine Abhängigkeit vom Glück empfindlich, als dass ich nicht pro lubita [nach Belieben] meinen Tornister schnallen und auf und davon wandeln kann, wohin ich so eben möchte.«
Ende Dezember lässt er Gleim wissen:
»Ich bin nämlich gesonnen, mit dem Jahr 1801 eine Tour nach Italien und Sizilien zu machen. Es wäre doch Schande, wenn ein Mensch mit so guten Knochen und so vielem Enthusiasm nicht einmal den klassischen Boden durchwanderte.«
In diesem Brief fühlt Seume vor, ob Gleim ihm bei der Finanzierung der Reise helfen könne. Gleim hatte früher schon einmal Geld geschickt, ohne dass Seume darum gebeten hätte, nur aufgrund des Gerüchts, Seume sei in Not geraten. Wieder gibt der gute Alte, aber so, dass die Linke nicht weiß, was die Rechte tut. Die Gabe schickt der diskrete Gleim, der seiner schlechten Augen wegen sonst diktiert, mit einem Brief von eigener Hand. Am nächsten Tag lässt er einen von fremder Hand folgen und redet dem Beschenkten ins Gewissen: »Verreisen also, Sie mein lieber braver Seume, doch nur nicht, bleiben Sie nun, Sie haben genug schon verreist, im Lande, und nähren sich rechtlich; treten Sie mit ihrem Göschen in Gesellschaft und ziehn Sie junge Correctors; Sie selber aber müssen keiner mehr sein, Sie müssen Einer unsrer Klassiker noch werden. Sie dürfens nur wollen!«
Das war schrecklich gut gemeint und furchtbar schlecht durchdacht. Die beiden Ratschläge, Compagnon von Göschen und »einer unsrer Klassiker« zu werden, schlossen einander aus, abgesehen davon, dass Göschen das eine und Seume sicherlich beides nun gerade nicht gewollt hätte. In seiner Antwort hält sich Seume bedeckt, rasselt nur dankbar mit der Kette:
»Der Himmel gebe Ihnen noch manche Jahre! Wenn ich auf alle Weise nicht so an der Kette läge, so wäre ich oft bei Ihnen; es mag aber auch sein Gutes haben, dass man so an der Kette hängt. Man gewöhnt sich an die eiserne Notwendigkeit, die dann durch Gewohnheit weit milder und weit weniger fühlbar wird: wenigstens sehe ich nicht, dass Leute, deren Kette sehr lang ist, etwas merklich besser machen oder sich merklich besser befinden.«
In einem weiteren Brief an Gleim schreibt er trotzig:
»Nach Italien zu gehen bin ich doch gesonnen, wäre es auch nur um einige Oden des Horaz unter seinem Himmel zu lesen.«
An Böttiger wiederum meldet er:
»Meine Personalität denke ich künftiges Jahr nach Italien zu tragen. Alle Vorkehrungen sind schon so ziemlich getroffen. […] Mein Vaterland verliert wie ich merke nichts, wenn mich auch ein Banditendolchstich dahin fördern sollte.«
Den Banditendolch bekam er dann in Italien tatsächlich an die Kehle, jedenfalls wenn man seinen Briefen von
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