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Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Titel: Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Preisendörfer
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Hier ist alles freudiges Entzücken. Im Angesicht von Canovas gemeißelter Schönheit darf Seume sich frei fühlen von Furcht und Hoffnung, die ihn bei Frauen aus Fleisch und Blut quälten. Doch hatte er es in Venedig nicht nur mit Hebe zu tun:
»Ich zählte für den Tag meinem Lohnbedienten sein Geld in die Hand […], da kamen, weiß der Himmel, ob meine Figur, mein Gesicht oder meine Handvoll Liren sie angelockt, ein Paar allerliebst freche Venezianische Dirnchen und lehnten sich freundlich an Schulter und Ellbogen und plauderten wer weiß welchen frommen oder gottlosen Unsinn her.«
    Man merkt beim Lesen dieses Briefs an Göschen noch heute, wie gut ihm das getan und wie sehr es ihm gefallen hat. Dennoch begann er, »so stark als möglich russisch zu fluchen«, legte sein »Gesicht in die gröbsten Sackfalten« und blieb »ungehudelt«, wie er sich ausdrückt. Auch im Spaziergang berichtet er das Erlebnis und schmückt es noch hübscher aus:
»Ich zahlte dem Bedienten jeden Abend sein Geld; […] dieses geschah diesen Abend, da es noch ganz hell war, auf dem Markusplatze. Einige Mädchen der Aphrodite Pandemos mochten bemerkt haben, dass ich bei der Abzahlung des Menschen eine ziemliche Handvoll silberner Liren aus der Tasche gezogen hatte.«
    Figur und Gesicht lässt er diesmal weg und konzentriert sich, realistischer, auf das, was Aphrodite Pandemos, die käufliche Göttin fürs Volk, wirklich lockt: Lire. Die Mädchen
»legten sich, als der Bediente fort war und ich allein gemächlich nach Hause schlenderte, ganz freundlich und gefällig an meinen Arm. Ich blieb stehen und sie taten das nämliche. Man gruppierte sich um uns herum, und ich bat sie höflich, sich nicht die Mühe zu geben, mich zu inkommodieren. Sie fuhren mit ihrer artigen Vertraulichkeit fort, und ich ward ernst. Sie waren beide ganz hübsche Sünderinnen, und trugen sich ganz niedlich und anständig mit der feineren Klasse. Ich demonstrierte in meinem gebrochenen Italienisch so gut ich konnte, sie möchten mich in Ruhe lassen. Es half nichts; […] Eine von den beiden Nymphchen schmiegte sich endlich so schmeichelnd als möglich an mich an. Da ward ich heiß und fing in meinem stärksten Baßtone auf gut russisch zu fluchen, mischte so etwas wie Impudenza [Unverschämtheit] und senza vergogna [schamlos] dazu, und stampfte mit meinem Knotenstocke so emphatisch auf das Pflaster, dass die […] erschrockenen Geschöpfchen ihren Weg gingen.«
    Nach dieser Episode folgt im übernächsten Absatz wie zufällig und doch in gekonntem Kontrast die Begegnung mit der Marmorgöttin:
»Jetzt ist meine Seele voll von einem einzigen Gegenstande, von Canovas Hebe.«
    In Mailand kommt es erneut zum Verführungsversuch einer »schönen Sünderin«:
»Ich saß an einem Sonntag Morgen recht ruhig in meinem Zimmer und las wirklich zufällig etwas in den Libertinagen Katulls [Liebeslyrik des römischen Dichters]; da klopfte es, und auf meinen Ruf trat ein Mädchen ins Zimmer, das die sechste Bitte [im Vaterunser : ›… und führe uns nicht in Versuchung‹] auch ohne Katull stark genug dargestellt hätte. Die junge, schöne Sünderin schien ihre Erscheinung mit den feinsten Hetärenkünsten berechnet zu haben. […] Signore comanda qualche cosa? [›Befehlen der Herr etwas?‹] fragte sie in lieblich lispelndem Ton, indem sie die niedliche Hand an einem Körbchen spielen ließ und Miene machte, es zu öffnen. Ich sah sie etwas betroffen an und brauchte einige Augenblicke, ehe ich etwas unschlüssig No antwortete. Niente? fragte sie, und der Teufel muss ihr im Ton Unterricht gegeben haben. Ich warf den Katull ins Fenster [auf die Fensterbank] und war höchst wahrscheinlich im Begriff, eine Sottise zu sagen oder zu begehen, als mir schnell die ernstere Philosophie still eine Ohrfeige gab. Niente , brummte ich grämelnd, halb mit mir selbst in Zwist; und die Versucherin nahm mit unbeschreiblicher Grazie Abschied. Wer weiß, ob ich nicht das Körbchen« – hätte Freud nicht seine Freude daran gehabt? – »etwas näher untersucht hätte, wenn die Teufelin zum dritten Mal« – kräht im Evangelium nicht dreimal der Hahn, während Petrus gefragt wird, ob er zu den Jüngern Jesu gehört, und es leugnet? – »mit der nämlichen Stimme gefragt hätte, ob gar nichts gefiele.«
    Seume hat widerstanden, wenn auch mit Bedauern. Und für den Fall, dass Freund Leser auf die Idee kommt, die Sache werde im Buch anders erzählt, als sie im Leben gewesen ist, fügt Seume

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