Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)
hat und verdient, dass Sie Ihr Glück unbedingt in seine Hände legen können, dass Sie unverrückt beständig mit zärtlicher Hingebung sich an seinen Charakter zu halten hoffen dürfen, so eilen Sie, die Verbindung zu schließen, die Ihr Herz wünscht; fühlen Sie aber Bedenklichkeiten, die der Ernst rechtfertigt, so gehen Sie behutsam und langsam, damit Sie nicht eine solche Übereilung mit dem Unglück Ihres Lebens büßen. […] Ich sehe Sie wahrscheinlich nie wieder; das Gebein schauert mir bei dem Gedanken. Sehen Sie, wie gut es gewesen wäre, wenn meine Seele ohne allen Ton zärtlicherer Empfindungen wäre? Ohne meine Mutter wäre ich längst fort, hinaus in die wildesten Elemente.«
Eines dieser »wilden Elemente« ist der Tod selbst:
»Wenn mich die Pflicht nicht leben hieße, würde ich den Tod suchen, einen Freund, mit dem ich nicht [erst] seit ehegestern bekannt bin.«
An seinen Verleger Johann Friedrich Hartknoch schrieb er noch im Januar, »es fehlte nicht viel, so hätte ich zu den kleinen runden Schnapphähnen an der Wand gegriffen«, womit die beiden Pistolen auf seiner Stube gemeint sind.
Im Unterschied zu Wilhelmine brach der Kontakt zu Johanna Loth nur vorübergehend ab. Später kam es zu einer freundschaftlichen Wiederannäherung, und Seume widmete der nunmehr verheirateten Frau Devrient ein Gedicht:
»Aus Deinen Blicken trink’ ich Begeisterung;
Mein ganzes Wesen atmet die Huldigung,
Die mich in Deinen Zauber hüllet
Und mit Entzücken die Seele füllet.«
Nach weiteren Strophen mit Nachtigallen und Frühlingsfreuden werden wieder unverbrüchliche Treue und durch nichts zu erschütternde Opferbereitschaft beschworen:
»Es bleibet, Freundin, stets mit Bescheidenheit
Dir meine Seele bis in den Tod geweiht;
Und Dir die Ruhe zu erwerben,
Könnt’ ich noch heute mit Freuden sterben.«
Im Winter 1804 hatte er in seinem langen Brief an Johanna geschrieben, nur die Pflicht gegenüber der Mutter halte ihn am Leben. Als sie am 18. Dezember 1807 verstarb, wandte er sich wiederum an Johanna:
»Ich bin kaum im Stande, mir meine Mutter als abwesend zu denken, so sehr war sie in alle meine Gedanken verwebt. Die Zeit wird das ihrige tun und die Gefühle mildern; töten wird und soll sie sie nie. Ihre Freundlichkeit liegt wieder ganz in den Zügen Ihrer Schrift, und eine Träne, halb des Schmerzes und halb der süßen Rührung, zitterte mir von der Wimper.«
Ein paar Tage später reagiert Seume in seinem Weihnachtsbrief beunruhigt auf finanzielle Schwierigkeiten von Johannas Mann, von denen er gehört hat. Wie er seinerzeit an den Gatten von Wilhelmine schrieb, um ihm den Charakter von dessen Eheweib zu erklären, so schreibt er nun an Johanna, um sie vor allzu großer finanzieller Opferbereitschaft zugunsten ihres Gatten zu warnen. Wieder spürt er selbst das Ungehörige, das »Impertinente« an diesem Brief; und wieder setzt er sich mit viel Pathos über die eigenen Bedenken hinweg:
»Ich hätte mich gewiss stillschweigend entfernt, wenn nicht Ihre jetzige Lage mir es zur Pflicht zu machen schiene, Ihnen einige ernste Worte zu sagen. Misskennen [missverstehen] Sie den Beweggrund, so hülle ich mich in mein Bewusstsein und gehe traurig weiter. Sie können von einem Manne nicht verlangen, das, was er auf der Welt am zärtlichsten liebt, in Gefahr zu glauben und nichts dabei zu tun.«
Nach den gut gemeinten und schlecht gerechtfertigten Ratschlägen, die niemand, am wenigsten Johanna, von ihm erbeten hatte, kommt er noch einmal auf den Tod der Mutter zu sprechen:
»Ich ging mit voller, unruhiger Seele das letzte mal von Ihnen, traurig und bekümmert ohne fest bestimmte Ursache; den andern Tag erhielt ich einen Boten mit der Nachricht, meine Mutter, die ich noch ziemlich gesund glaubte, sei gestorben.«
Da die Mutter in Poserna unweit von Grimma bei Seumes Schwester wohnte, hätte Seume eigentlich besser über ihren Gesundheitszustand informiert sein können.
»Dieses Gefühl [der Trauer] verschlang nun alle übrigen; ich habe wenige so wehmütige Momente meines Lebens gehabt. Auch dieses ergriff mich mehr, als ich gefürchtet hatte. Als Sie mir schrieben, begrub ich meine Mutter, eine vortreffliche alte Frau, der ich das meiste Gute in mir verdanke. Die Loskettung von der Pflicht hat in meinem Wesen eine traurige Leere gelassen, die an Vernichtung grenzt.«
Es berührt seltsam, wie Seume, der religiöse Schwärmerei immer schwungvoll verachtet hat, sich in seiner Seelennot ausgerechnet an einem alten
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