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Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Titel: Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Preisendörfer
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hinzu:
»So war die Sache, mein Freund; und wäre sie anders gewesen, so bin ich nicht so engbrüstig [engherzig] und könnte sie Dir anders oder gar nicht erzählt haben.«
    Im gleichen Jahr, 1803, in dem Seumes Spaziergang erschien, veröffentlichte Schiller seine 1785 entstandene Ode An die Freude . In diesem späteren Beethoven-Hit und europäischen Vereinigungsschlager umschlingt der Chor die ganze Menschheit – und stößt doch, was gern überhört wird, einzelne Menschen, solche wie Seume etwa, grausam aus:
    »Seid umschlungen, Millionen!/Diesen Kuss der ganzen Welt!/Brüder – überm Sternenzelt/Muss ein lieber Vater wohnen.//Wem der große Wurf gelungen,/Eines Freundes Feund zu sein;/Wer ein holdes Weib errungen,/Mische seinen Jubel ein!/Ja – wer auch nur eine Seele/ Sein nennt auf dem Erdenrund!/Und wers nie gekonnt, der stehle/Weinend sich aus diesem Bund!«
    Eine der wenigen Seelen, die Seume sein nennen konnte, war Baron Freiherr von Münchhausen, der Freund aus den »huronischen« Tagen in Halifax. Im Gedicht Abschiedsschreiben erteilt Seume ihm Ratschläge für eine gute Lebensführung. Das Gedicht wurde zuerst 1792 in Schillers Thalia veröffentlicht und von Münchhausen dann in die 1797 erschienenen Rückerinnerungen aufgenommen. Darin gibt es eine Warnung »vor dem Weibe«, die sich anhört, als nehme sie schon 1792 die wilhelminasche Liebesverwundung von 1796 vorweg:
»Flieh vor dem Weibe, Freund; in ihren Netzen
Ist erst Berauschung und sodann Entsetzen;
Und in der ganzen Schöpfung liegt
Kein Wesen, das mit allen Engelgaben,
An denen sich die blinden Opfer laben,
Am Ende grausamer betrügt.«
    In seinem Nachruf an Seume dichtet Münchhausen zurück und wendet sich an den »Sohn des Unmuts«: »Du gibst als Freund mir wohlgemeinte Lehren;/Ich danke Dir. Auch sie von mir zu hören,/Entadelt Deine Weisheit nicht./Nimm nun auch Du mein Herz in Lehren wieder/Und hör’ ein Wort in diesem meiner Lieder,/Ein Wort, das meine Seele spricht.//Flieh nicht das ganze menschliche Geschlechte,/Damit Du nicht im angemessnen Rechte/Den Namen Menschenhasser trägst./Sieh nicht im Weib das Krokodil vom Nile/Und mach’ es nicht zu Deines Grolles Ziele,/Worauf Du Deine Pfeile jägst.«
    Die Freunde und die Chefs
    »Die Liebe, sagt man«, schrieb Adolph von Knigge 1788 in Über den Umgang mit Menschen, »sei blind; sie fessle durch unerklärbaren Instinkt Herzen aneinander, die dem kalten Beobachter gar nicht füreinander geschaffen zu sein schienen, und da sie nur durch Gefühle, nicht durch Vernunft geleitet werde, so fallen bei ihr alle Rücksichten des Abstandes, den äußere Umstände erzeugen, weg. Die Freundschaft hingegen beruhe auf Harmonie in Grundsätzen und Neigungen; nun aber habe jedes Alter sowie jeder Stand seine ihm eigene Stimmung, nach der Verschiedenheit der Erziehung und Erfahrungen, und desfalls finde unter Personen von ungleichen Jahren und ungleichen bürgerlichen Verhältnissen keine so vollkommene Harmonie statt, als zur Knüpfung des Freundschaftsbandes erfordert werde.«
    Mit ihrem Alter passten Seume und Münchhausen, nur etwa vier Jahre getrennt, gut zusammen. Doch was den bürgerlichen Stand und die soziale Lage betraf, hätte es zwischen dem übers Meer verschlagenen Kleineleutekind und dem ehrgeizigen Freiherrn nie und nimmer zur Freundschaft kommen können. Knigge fährt allerdings fort: »Diese Bemerkungen enthalten viel Wahres, doch habe ich schon zärtliche und dauerhafte Freundschaften unter Leuten wahrgenommen, die weder dem Alter noch dem Stande sich ähnlich waren.«
    Im Lauf des 18.Jahrhunderts entwickelte sich in der aufgeklärten Ständegesellschaft vor allem in bürgerlichen Kreisen ein Kult der Freundschaft, der mit seinen künstlichen und manchmal kunstvollen Gefühlsergüssen, seiner öffentlich ausgelebten Empfindsamkeit und seinem nie enden wollenden Bereden in Briefen, Romanen und Gedichten geradezu hysterische Züge annahm. Zusammen mit anderen Schlag- oder vielleicht besser gesagt: Koseworten der Menschlichkeit war ›Freundschaft‹ eine schnell zirkulierende (und recht abgegriffene) Münze im persönlichen und publizistischen Austausch, ähnlich der ›Humanität‹, der ›Empfindsamkeit‹, der ›Philanthropie‹ und – gut deutsch gesagt, denn das griechische ›philos‹ heißt Freund, ›anthropos‹ ist der Mensch – der ›Menschenfreundlichkeit‹.
    Auf Münchhausens freundschaftlicher Warnung, Seume müsse aufpassen, dass er nicht zum

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