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Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Titel: Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Preisendörfer
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jungen Frau mit einem anderen erfuhr, und wieder ging er auf und davon, obwohl er diesmal mehr fahren musste als laufen konnte.
    Seume war ein gern gesehener Gast in der Familie Göschen, und wenn er von Grimma zum nahe gelegenen Landgut Göschens bei Hohnstädt wanderte und dem Verleger danach einen Brief schrieb, war darin nicht nur die Rede davon, wie es um die Oden Klopstocks stand, sondern auch um die Kohlköpfe auf den Äckern des Chefs. Durch die Göschens hatte Seume Zugang zur Familie Loth, und dort verliebte er sich 1804 in Johanna, die mit ihren zwanzig Jahren halb so alt war wie er. Im Unterschied seiner Bindung an Wilhelmine, die mit Wissen und Einverständnis des Mädchens geschah, spielte sich die Liebesgeschichte dieses Mal hauptsächlich in seinem Kopf ab, oder in seinem Herzen. An Weihnachten 1804 erfuhr er im Familienkreis der Göschen und Loth ganz nebenbei von Johannas Verlobung mit dem Kaufmann Johann-Emanuel Devrient – und schrieb prompt einen Brief an ihren Vater, einen schwer bewölkten, obwohl er für den Vater aus heiterem Himmel gekommen sein dürfte:
»Dieser Brief wird Sie unstreitig überraschen, vielleicht auch nicht; […] Ich darf und werde nicht mehr in Ihr Haus kommen und jede Gelegenheit sorgfältig vermeiden, Ihre Tochter zu sehen. […] Meine Seele hat seit langer Zeit große Abgötterei mit dem Mädchen getrieben, und ich bin in eine Stimmung geraten, wo ich Gefahr laufe, ein Raub meiner Empfindungen zu werden. […] Das Mädchen weiß nichts; wenigstens nicht mehr, als was sie vielleicht mit ihrem feinen Takt erraten kann. […] Sie war freilich die Ursache manches Besuchs, den ich in Ihrem Hause machte; sie war aber auch oft die Ursache, dass ich nicht kam. Ich wollte meine Empfindung niederkämpfen; aber das geht nun, wie ich wohl merke, ohne heroische Mittel nicht. […] Ihr Herr Sohn hat mir gestern eine Eröffnung gemacht, die meinen schwankenden Entschluss festsetzen muss, ehe ich von meiner Schwachheit zuviel verrate. Ich will gute Verhältnisse nicht stören, und sollte ich darüber mit meinem Wesen zu Trümmern gehen. Es ist freilich traurig, dass ich nun wieder einsam und freudenleer sein werde; aber ich muss in mich selbst zurückgehen und mit mir allein leben. Es bleibt mir nichts als das Bewusstsein eines ehrlichen Mannes, das zwar endlich sicher, aber trostlos kalt ist. Ich bin zur Verwaisung geboren und bezahle meine höhere Bildung etwas teuer. In meinem Herzen liegt ein unendlicher Reichtum, mit dem ich und niemand etwas anzufangen weiß; ich werde nun bei den Toten leben.«
    Dies war nicht die Ankündigung eines Selbstmords, sondern die eines Rückzugs zu den ›Alten‹, den griechischen und römischen Autoren, deren Schriften in Jahrhunderten und Jahrtausenden so gut abgehangen waren, dass man sich ohne Furcht und Hoffnung über sie beugen konnte.
    Auch an Johanna selbst hat Seume in diesem Winter seiner Seele geschrieben, ziemlich genau acht Jahre nach den Dezemberbriefen an Wilhelmine:
»Liebe, liebe Freundin,
Es ist das erste und höchst wahrscheinlich das letzte mal, dass ich diese vertrauliche Sprache des Herzens zu Ihnen spreche, auf die ich mir durch meine reinsten Gesinnungen gewiss ein Recht erworben habe. Meine Entfernung aus dem Hause Ihres Vaters kann Sie über meine Seelenstimmung nicht in Ungewissheit gelassen haben, und wenn es auch nicht großmütig ist, so ist es doch sehr menschlich, dass ich mich nicht so ganz ohne etwas freundlichen Abschied von Ihnen trenne. […] Ich bin freilich bei der Sache ein etwas unbesonnener Knabe gewesen, der die Dinge rund um sich her nicht überlegt hat, und ich büße die Sorglosigkeit jetzt sehr hart; […] Dass Sie ein reiches junges Mädchen sind, daran habe ich leider wenig gedacht; ich empfand nur, dass Sie schön und liebenswürdig sind. […] Ich bekenne meine Schwachheit; die Nachricht [von Johannas Verlobung] fasste mich bis zur Zerrüttung. […] Sie wären die Seligkeit meines Lebens gewesen, und ich bin mir durchaus bewusst, ich würde Ihnen keinen Ihrer schönen Tage verdorben haben. Ich habe Kraft und Mut zu arbeiten und würde mit Frohsinn gearbeitet haben, bis die Fingerspitzen geblutet hätten. Eine Frau hätte ich selbst ernähren können, aber freilich keine Dame, und leider sind in unsrer Konvenienz die Frauen seltener als die Damen. Doch wozu leidige Äußerungen? Wenn Sie gewiss sind, dass der Mann, den Sie wählen wollen, Ihre ganze herzliche, uneingeschränkte Teilnahme verdient

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