Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)
erzählt.
Nach dem Scheitern der zweiten Desertion im Januar 1787 konnte Seume sich im gleichen Jahr dem preußischen Söldnerdienst doch noch entziehen. Zwölf Jahre später und kaum den endlich erreichten ehrenhaften Abschied aus russischem Dienst im Rücken, schreibt er an Böttiger:
»Es ist wahrhaftig ziemlich mein Ernst, wieder Soldat zu werden, und ich habe dazu gewiss nicht unwichtige Gründe, die teils allgemein, teils persönlich sind. Von den ersten nehmen Sie nur die Betrachtung, dass Männer von wahrer unerschütterlicher Gerechtigkeitsliebe und reinem Menschengefühl in dieser Laufbahn gewiss sehr nötig sind, wenn sie auch nur durch Verhinderung vieles Bösen Gutes stiftete. So lange man nicht Aufklärung und Humanität unter die Armeen bringt, mag man am Pulte mit Aufwand von Geisteskraft alle Gänsekiele stumpf schreiben, die brutale Kraft der Kartätschenwerfer und Bajonettträger wird immer die Oberhand behalten.«
Will hier einer allen Ernstes den Dukatenkerl der Aufklärung geben? Böttiger dürfte das kaum überzeugt haben, und wenn Seume noch so viele Gänsekiele stumpf geschrieben hätte. Die persönlichen Gründe sind glaubhafter als die allgemein humanitären:
»Ich bin nach meiner Sinnesart und der jetzigen Einrichtung der Dinge zu nichts anderm [als dem Militärdienst] zu gebrauchen: und leben muss ich doch, so lange mir nicht jemand ganz gründlich beweist, dass ich auf der Welt rein unnütz bin und ich die Wahrheit dieses Beweises nicht selbst einsehe und fühle. Dann würde das freilich das Signal sein, mit Konsequenz in die Welt hinter dem Vorhang zu treten. Göschen braucht mich nicht mehr, wenigstens nicht lange mehr.«
Es war wohl weniger so, dass der Verleger seinen Korrektor nicht mehr brauchte, als dass der Korrektor selbst nicht mehr konnte – bei all den Strapazen mit Klopstock. Zum Glück ist Seume trotz der sehr durchsichtig nur vom Vorhang des theatrum mundi verhüllten Selbstmorddrohung weder aus der Welt noch in die Armee gegangen, sondern nach Syrakus. Wenn er auch von der Abfassung dieses Briefes im Hochsommer 1799 bis zum Abmarsch im Spätherbst 1801 noch beinahe zweieinhalb Jahre warten musste. Im Hochsommer 1800 allerdings wiederholt Seume in einem Brief an Gleim seine militärischen Erwägungen:
»Für die meisten Lagen des Lebens fehlt mir die nötige Stimmung. Wieder Soldat zu werden wäre vielleicht das Einzige, das mir zu raten wäre, wenn ich mir eine neue Bahn irgendwo eröffnen könnte, wo ich mit Gewissen und Ehre stände.«
Mit »Gewissen und Ehre«, aber »irgendwo«. Vaterländisches spielt für den ausgelaugten Söldner des Korrektorenpults in diesem Moment keine Rolle. Das »literarisch-militärische Amphibion« hat dennoch keine Uniform mehr getragen, obwohl ihm auf dem Weg von Italien über die Schweiz nach Paris spanische Werber eine überziehen wollten:
»In Basel am Tore lud man mich zum Kriegsdienst der Spanier ein, die hier für junges Volk von allen Nationen freie Werbung hatten, ausgenommen die Franzosen und Schweizer. Mir war das nicht unlieb, ob ich gleich die Ehreneinladung bestimmt [mit Nachdruck] ausschlug: denn es zeigt wenigstens, ich sehe noch aus, als ob ich eine Patrone beißen und mit schlagen könne.«
Ein von Söldnerdiensten Traumatisierter würde kaum so kokettieren. Aber ist Seume wegen seiner großsprecherischen Patronenbeißerei als immerzu käuflicher Krieger anzusehen? Der ehemalige Freund Münchhausen reimt es sich in seiner Enttäuschung so zusammen: »Beständig feil zum Musquetieren,/Und wenn das Schildern sauer schmeckt,/Viel feiler noch zum Desertieren/Ob da der Theologe steckt??«
Warum sollte man nicht desertieren, wenn »das Schildern sauer schmeckt«? Weil man daran gehindert wird; oder weil man das Gassenlaufen fürchtet, wenn das Davonlaufen scheitert; oder weil man andere Gründe hat, bei der Fahne zu bleiben, patriotische vor allem. In der Leipziger Abschlussschrift von 1792 über Die Bewaffnung in der Antike und in der heutigen Zeit hält Seume fest:
»Keiner wird ein guter Soldat sein, außer ihn erfüllt Liebe zum Vaterland; keinen kann Liebe zum Vaterland mehr erfüllen als den, der für die Altäre und Herde, für die Familie und für die Güter kämpfen wird.«
Nahezu anderthalb Jahrzehnte später schreibt er in Mein Sommer 1805 diese Liebe zum Vaterland den Franzosen zu:
»Der Franzose ohne Unterschied schlägt für ein Vaterland, das ihm nun lieb geworden ist, das ihm und seiner Familie eine
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