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Der wahnsinnige Xandor

Der wahnsinnige Xandor

Titel: Der wahnsinnige Xandor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Vlcek
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Mythor sich ablenken ließ und schmunzeln musste. Aber als er dann hinter den Sätteln das Pergament entrollt hatte, verlor er sich in der Betrachtung des überirdisch schönen Mädchenantlitzes, und die Welt versank um ihn. Er hörte nicht einmal, dass das Spiel des Barden aufgehört hatte.
    »Ist das dein Schutzgeist, Mythor?« fragte die helle Stimme hinter ihm.
    Mythor fuhr erschrocken herum und versteckte das Pergament schnell wieder unter seinem Wams.
    »Du wärst besser bei den Schlächtern geblieben, anstatt dich um Dinge zu kümmern, die dich nichts angehen«, sagte Mythor drohend.
    Der Jüngling setzte sich auf den Sattelberg und stützte sich dabei auf sein Saiteninstrument.
    »Ich wollte nicht in deine Geheimnisse eindringen, aber da es nun einmal geschehen ist, kann ich es nicht mehr ungeschehen machen«, rechtfertigte sich der Barde. »Ich kann sehr gut schweigen.«
    »Das will ich dir auch raten!« sagte Mythor wütend. Ruhiger fügte er hinzu: »Wie kommst du darauf, dass das Bild meinen Schutzgeist darstellen könnte?«
    »Die Ähnlichkeit mit dir ist nicht zu übersehen«, antwortete der Barde. »Ich bin einmal durch ein Gebiet gekommen, in dem die Leute glaubten, dass jede Frau einen männlichen Beschützer und jeder Mann einen weiblichen habe und dass solche Schutzgeister etwas von einem selbst an sich hätten. An diesen Glauben erinnerte ich mich, als ich das Frauenbildnis mit deinen Zügen sah.«
    »Das Bild zeigt nur meinen Traum«, sagte Mythor. Er straffte sich. »Es ist besser, wenn du zu den Kriegern zurückkehrst.«
    »Ich nenne mich Lamir von der Lerchenkehle«, sagte der Barde. »Ich bewundere dich, Mythor. Du bist ein Mann, wie ich immer einer werden wollte. Aber ich musste früh erkennen, dass ich für den Gebrauch von Waffen zu schwächlich bin. Meine Stimme ist meine einzige Waffe. Immerhin habe ich gelernt, mich damit durchs Leben zu schlagen. Willst du mich zum Minnesänger haben?«
    »Ich weiß nicht einmal, wozu man einen solchen braucht«, sagte Mythor.
    »Nun, ich könnte deine Taten besingen und dich so auf der ganzen Welt berühmt machen. Und wenn du dein Herz an eine Schöne verlierst, werde ich ihr mit einem Lied deine Liebe gestehen. Ich könnte noch weitere Beispiele aufzählen, die dir zeigen, dass ein Minnesänger für einen Helden unentbehrlich ist.«
    Mythor musste lachen. »Gehörst du nicht dem Grafen?« frage er dann.
    »Ich bin ein freier Mann«, antwortete Lamir voll Stolz. »Ich habe mich den gräflichen Kriegern nur angeschlossen, um mir etwas zum Leben zu verdienen. Corian will mich mit auf seine Burg nehmen, aber ich würde lieber dich begleiten.«
    »Vor mir liegt ein gefahrvoller Weg«, sagte Mythor. »Ich fürchte nur, dass die Hürden, die ich zu nehmen habe, nicht mit Musik zu bewältigen sein werden. Ich würde eher die Hilfe eines starken Armes brauchen.«
    »Was ist dein Ziel?« »Xanadas Lichtburg.«
    Lamir schluckte hörbar und sagte mit plötzlich rauer Stimme: »Dann wähle ich lieber die andere Richtung.«
    »Wieso? Was weißt du über Xanadas Lichtburg?«
    »Nichts«, sagte der Barde schnell. »Ich weiß nur, dass es sie gibt. Und gar nicht so weit von hier. Einige Tagesmärsche entfernt. Aber ich habe einiges über das Land ringsum gehört. Es soll dort einen ausgedehnten Sumpf geben, in dem die Ruine eines Schlosses steht, das einst von einem gewissen Magnor de Freyn bewohnt wurde. Jetzt haust darin ein wahnsinniger Xandor und verbreitet Angst und Schrecken.«
    »Was ist ein Xandor?« fragte Mythor unbeeindruckt.
    »Frag die Leute, und sie werden es dir nicht sagen«, antwortete Lamir. »Vielleicht wissen sie es selbst nicht, oder aber sie fürchten, dieses Schreckenswesen durch ihre Schilderung herauf zu beschwören. Ich habe es bald aufgegeben, mich nach dem Xandor zu erkundigen, und mir vorgenommen, dieses Sumpfgebiet zu meiden.«
    »Dann haben wir wirklich nicht den gleichen Weg.«
    »Warum willst du dich in Gefahr begeben?« fragte Lamir. »Schließe dich Graf Corian an, dann machst du bestimmt dein Glück.«
    »Ich habe eine Prüfung zu bestehen«, sagte Mythor. »Aber wenn du mir helfen willst, dann lenke Corian ab. Bei Anbruch der Dunkelheit mache ich mich davon.«
    »Viel Glück, Mythor. Vielleicht treffen wir uns einst wieder.«
    Lamir reichte ihm die Hand, und Mythor drückte sie. Dann kehrte der Barde zum Lagerfeuer zurück.
    *
    Einst, zur Zeit Ur, kam ER über das Weltendach geritten. Damals war überall Finsternis. Das Weltendach

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