Der wahre Feind: Kriminalroman (German Edition)
bezahlt werden? Wollt ihr das Weltkalifat oder euch weiter von den Ungläubigen unterdrücken lassen?« Er zerknüllte den Zettel und warf ihn in hohem Bogen über den Parkplatz. » Schwachsinnige, hirnlose Islamisten!«
Katrine blickte zurück und musterte die drei Jungen. Einer von ihnen ging zu einem Mann im schwarze Qamis, der unter dem Vordach stand und ihm einen neuen Stoß Flugblätter gab. Katrine blieb stehen. » Kennt ihr einen von denen?«
Saajid und Ali drehten sich um. Beide schüttelten den Kopf. » Bestimmt irgendwelche Idioten aus der Azra-Moschee«, sagte Saajid.
» Und der unter dem Vordach?«
Ali kniff die Augen zusammen. » Ist das nicht Faris?«
Katrine warf ihm einen raschen Blick zu. » Faris?«
» Mein Bruder ist mit ihm zusammen zur Schule gegangen. Ziemlich cooler Typ. Ingenieur, gute Familie, großes Auto und alles.« Er rieb die Fingerspitzen aneinander, als würde er Geldscheine zählen.
» Und jetzt ist er Islamist?«
Ali zuckte die Schultern. » Kann schon sein. Vor ein paar Jahren hat ihn seine Frau verlassen. Hat sich vom Nachbarn ficken lassen, hab ich gehört. Hat die Kinder genommen und ist abgehauen. Hat ihn ganz schön runtergezogen, die Geschichte.«
» Ist ja wohl ziemlich untertrieben formuliert«, entgegnete Katrine.
Faris schickte den Jungen mit ungeduldigen Handbewegungen weg. Er lief zu den anderen Jungen, und sie teilten die Flugblätter unter sich auf.
» Jetzt ist er geschieden und ohne Job«, sagte Ali.
» Geschieden?«, fragte Katrine und blickte zu Saajid hinüber. » Ich dachte, als Muslim kann man sich nicht scheiden lassen.«
Saajid wich ihrem Blick aus.
» Doch, doch. Also der Mann kann, wenn er will. Die Frau nicht.« Er zuckte die Schultern. » So ist das eben.«
» Interessant«, entgegnete Katrine und schüttelte den Kopf. Das war eine von den vielen Ausreden Saajids gewesen, warum er seine dämliche Frau nicht verlassen wollte.
» Ali, wir sollten sehen, dass wir weiterkommen.« Saajid drehte sich um und ging.
Katrine stand rauchend auf dem Balkon und schaute über das Viertel hinweg. Die Dämmerung hatte eingesetzt, und die Bildschirme der vielen Fernseher in den Wohnzimmern leuchteten wie blaue Lampen. Ein Auto, aus dem stampfende Bässe dröhnten, fuhr unten an ihr vorbei.
Nachdem sie gesehen hatte, wie Faris und seine Jünger ihre Flugblätter ausgeteilt hatten, beunruhigte sie Nikolaj Storms Anfrage noch mehr. Obwohl es in diesem Viertel relativ ruhig war, konnte sie natürlich nicht ausschließen, dass sich unter den knapp dreitausend Bewohnern auch ein paar befanden, denen der Sinn danach stand, in Dänemark ein paar Bomben hochgehen zu lassen. Die meisten kamen allerdings ziemlich gut miteinander aus, ob sie nun einen Migrationshintergrund hatten oder nicht. Natürlich gab es auch hier Diebstähle, Überfälle und rassistische Gewalttaten, doch nicht häufiger als im übrigen Teil des Landes. Ali hatte ihr erzählt, dass Faris in einem der Reihenhäuser wohnte. Sie zweifelte daran, dass der Geheimdienst dieses abgehört hatte. Hingegen war sie sicher, dass Faris observiert wurde, wenn er sich außerhalb seines Viertels bewegte. Wenn er oben beim Einkaufszentrum war oder zur Azra-Moschee ging.
Sie drückte die Zigarette im Aschenbecher aus, ging hinein und nahm ihren Hausschlüssel. Sie wollte doch unbedingt sehen, wo Faris wohnte.
Zehn Minuten später stand sie im Dunkeln vor dem kleinen Garten hinter Faris’ Reihenhaus. Im Wohnzimmer, hinter den Gardinen, brannte Licht. Ein paar Silhouetten zeichneten sich ab, aber sie konnte nicht sehen, wie viele Personen sich im Wohnzimmer befanden. Ihr fiel nichts Besonderes auf, dennoch war es gut zu wissen, dass Faris unter Beobachtung stand. Neulich war das Foto eines verkohlten Säuglings in der Zeitung gewesen, der dem Bombenattentat zum Opfer gefallen war. Das Kind hatte in den Armen seiner getöteten Mutter gelegen. Es machte sie wütend, wenn sie daran dachte, dass der Mann hinter der Gardine möglicherweise dafür verantwortlich war. In diesem Fall wäre er auch nicht viel besser als Søren Rohde. Was es noch absurder machte, hier zu stehen, nachdem sie Storms Angebot abgelehnt hatte. Wenn der Geheimdienst keine Hilfe von ihr oder anderen aus diesem Viertel bekam, musste er selbst zusehen, wie er an seine Informationen gelangte. Der Gedanke, dass Tom in ihrem Viertel James Bond spielte, war vollkommen abwegig. Der Mann fand nicht mal seinen eigenen Arsch, wenn er aufs Klo ging.
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