Der wahre Hannibal Lecter
Dreck machen, wenn ich wieder in Freiheit bin«, brüstet Bill sich danach regelmäßig.
Interessiert nimmt es Robert zur Kenntnis. Schließlich rückt er mit einem Vorschlag heraus: »Das kannst du doch auch hier tun, dazu brauchst du doch nicht erst zu warten, bis du draußen bist.«
So viel Mordlust schockt selbst Bill: »Hast Recht aber das muss ich mir noch gut überlegen.«
Robert insistiert: »Überleg es dir, ich bin dabei. Brauchst mir nur zu sagen, wann und wer. Natürlich kommt nur ein Kinderschänder in Frage, sonst habe ich keine Lust dazu. Das verstehst du doch, oder?«
Fortan gibt es für die beiden kein anderes Thema mehr. Sie planen einen Mord! Und der soll grausamer und schrecklicher sein als derjenige an John Farell. In ihren Phantasien hecken sie immer teuflischere Quälereien aus. Sie wollen Blut sehen, so viel wie ein menschlicher Körper nur hergibt. Sie wollen einen Menschen sich winden sehen vor Schmerzen, sie wollen ihn schreien und um sein Leben betteln hören.
Man schreibt den September 1976. In wenigen Tagen soll es so weit sein. Die beiden wissen, dass am Wochenende der günstigste Zeitpunkt ist. Dann haben die meisten Beamten frei, nur wenige schieben Dienst.
Niemand soll sie in ihrem Blutrausch stören. Sie wollen ihre Tat bis zur Neige auskosten, hoch erhobenen Hauptes wollen sie das blutrote Banner des Todes tragen.
Bills Schlaf wird immer unruhiger, er träumt bizarre Dinge.
Oft wacht er am Morgen schweißgebadet auf. Er sieht sich schon als der große Killer. Jede Zeitung wird über ihn schreiben. Er träumt davon, endlich jemand zu sein in diesem Haus der gefährlichen Komplexe. Jemand wie Robert Maudsley. Tagsüber will jeder in Broadmoor den anderen übertreffen, cooler sein, brutaler, gewissenloser. Nachts zeigen die meisten ihr anderes Gesicht. Dann schreiben die Mörder und Vergewaltiger Gedichte im Licht selbst gebastelter Kerzen, herzzerreißende Briefe an ihre Freunde und Eltern, in denen sie ihr Leid schildern, davon erzählen, wie sie unter dem Druck des Gefangenseins zusammenzubrechen drohen, und gestehen, dass sie nur eins wollen: zurück in die Freiheit.
Der lang ersehnte Tag bricht an
Robert Maudsley steigt verschlafen aus seinem Bett und geht zum Waschbecken, um seine Morgentoilette zu verrichten.
»Du musst ein wenig warten, ich bin noch nicht ganz fertig«, entgegnet ihm David, der Frühaufsteher, dessen Reinlichkeits-wahn Robert schon immer auf die Nerven gegangen ist. Robert genügen in der Regel fünf Minuten, David braucht weit mehr als eine halbe Stunde. Deshalb hat er sich angewöhnt, sehr früh aufzustehen. Er war es leid, sich ständig die Vorwürfe seiner Zellengenossen anhören zu müssen: »Schau, dass du von dem Becken wegkommst, jetzt bin ich an der Reihe. Du stehst bestimmt schon wieder eine Stunde vor dem Spiegel.«
David lässt sich auf keine Diskussion ein und räumt wortlos das Feld. Wie jeden Tag ordnet er die Sachen sorgfältig in seinen Toilettenbeutel und geht zum Schrank.
»Blödmann«, sagt er noch, doch Robert kann es wegen des Wassergeräusches nicht hören.
»Hey, Robert, nun darfst aber auch du Platz machen, heute ist mein Tag«, meldet sich Bill aus seinem Bett. Offensichtlich ist er bei guter Laune, obwohl er in dieser Nacht nicht viel geschlafen hat.
Robert blickt in Richtung Bill und erwidert ebenso launig:
»Du hast wohl auf der Boxerzeitung geschlafen? Warte gefälligst, bis ich fertig bin!«
»Weißt du nicht was für ein Tag heute ist? Heute ist der Tag der Tage«, erinnert Bill seinen Kumpel.
»Hast wohl Geburtstag?«, mischt sich David ein.
»Im Gegenteil – heute ist Todestag!«, entgegnet Bill. David wendet sich verständnislos ab, will gar nicht wissen, was das schon wieder heißen soll.
Bill wirkt aufgedreht wie selten. Springt aus seinem Bett mit einem Elan, den man bei ihm nicht kennt, stellt sich neben Robert, stupst ihn vertraulich mit dem Ellenbogen an und fragt:
»Du weißt wohl nicht mehr, welcher Tag heute ist?«
»Müsste ich das?«, entgegnet Robert genervt. »Natürlich, wir haben doch wochenlang darüber geredet. Jetzt ist der Tag angebrochen, an dem wir die Welt verändern.«
»Die Welt verändern. Wir beide?« Robert sieht ungläubig in den Spiegel.
»Na, kommt es langsam wieder in deinen Schädel rein, was für ein Tag heute ist?«, insistiert Bill.
Wütend sieht Robert seinen Zellengenossen an. Er kann es nicht fassen, wie der an diesem Morgen mit ihm redet. Er will sich schon
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