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Der wahre Sohn

Der wahre Sohn

Titel: Der wahre Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Kühl
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unerschütterliche Geduld hat mir jede Lebenslust geraubt.»
    «Sie waren also lange zusammen. Warum sind Sie erst jetzt weggegangen?»
    «Etwas ist passiert, mit meinem Onkel. Sonst wäre ich vielleicht immer noch da. Ich habe viele Anläufe genommen. Aber je länger man bleibt, desto schwieriger wird es. Manchmal dachte ich auch, sie braucht mich. Sie ist ein bisschen ungeschickt in Alltagsdingen.»
    «Ungeschickt?»
    «Ja, mit ihrer ganzen Revolution. Kennen Sie das, den Marsch durch die Institutionen? Gab es so was in der Sowjetunion? Aber sie war so tollpatschig, sie hat sich dabei einfach verlaufen, wie ein kleines Mädchen. Ich konnte sie nicht einfach allein lassen. Aber am Anfang hat sie mir sehr imponiert.»
    «Weiß sie denn, wo Sie jetzt sind?»
    «Nein. Ihr Leben ändert sich nicht im Geringsten dadurch, dass ich nicht mehr da bin. Das sagt doch schon alles, oder?»
    «Sind Sie sicher? Vielleicht vermisst sie Sie.»
    «Nein. Sie hat mich, glaube ich, nie geliebt. Verstehen Sie? Nur gebraucht, irgendwie. Gehen lassen wollte sie mich auch nicht. Nur festhalten, mich besitzen, ganz gleich, wer ich bin und was dabei am Ende aus mir wird. Statt eines lebenden Mannes hätte sie auch einen verwesenden Leichnam in den Armen halten können.»
    «Hatten Sie das Gefühl, zu verwesen?»
    «Aber nein, Herr Professor. Ich will nur sagen, dass es ihr völlig gleichgültig war, wer ich geworden bin. Für sie war ich noch immer der junge Student, der bei der Demo in der Hardenbergstraße an ihrer Seite stand. Seit der Zeit kennen wir uns ja. Sie hat in all den Jahren nicht mitgekriegt, dass ich mich längst verändert habe.»
    Guzmans nahm ihn fester in den Blick. «Könnten Sie denn definieren, wer Sie eigentlich sind?»
    «Wer ich eigentlich bin? Gute Frage.»
    Konrad schluckte.
    «Sie müssen nicht antworten», sagt Guzman.
    «Doch, doch, warten Sie. Aber es ist schwer zu erklären. Ich merke meistens nur, wenn ich irgendwo nicht ich bin. Da ist so ein Grauwerden, ein unerklärlicher Schleier von Traurigkeit, der sich über alles legt, wenn ich mich von mir selbst entferne. Das spüre ich. Wenn ich mir selbst weggenommen werde. Vor einiger Zeit habe ich eine Frau getroffen, die ich nicht kannte, in einem Pferdestall.»
    «Was haben Sie in dem Pferdestall getan?»
    «Ich habe die Tiere bewacht. Darunter ein junges Rennpferd, das war während eines Rennens auf die Bahn gelaufen und von den Sulkys überrannt worden. Der Tierarzt bat mich, ganz besonders darauf aufzupassen und ihn anzurufen, falls es sich auffällig verhielt. Das Tier hatte keine sichtbaren Verletzungen, es stand nur zitternd in der Box. So ein Schock kann gefährlich sein für ein Pferd. Ein Jahr ist das jetzt her. Bei meinem letzten Wachgang kam ich in einen sterilen Raum, jedenfalls hing dort ein starker, süßlich-ätzender Geruch in der Luft, wie Salmiak», (so wie hier bei Ihnen, dachte Konrad,) «und dort fand ich ein ungeheures Tier auf dem Boden. Sie glauben nicht, was für einen Eindruck so ein Pferd macht, wenn es einfach so vor Ihnen auf dem Boden liegt. Der aufgeblähte Bauch. Dieser Riesenleib auf einer Gummimatte. In der Nähe des Geschlechtsorgans, wo es in den Bauch geschnitten und mit Nylon vernäht war, wölbte sich eine kleine, vergessene Blutlache auf dem Boden.»
    Guzman nickte.
    «Und draußen vor der Glastür stand diese Frau. Sie stand vor dem Stall und weinte. Nicht laut, sondern irgendwie gebremst, als wollte sie sich zusammenreißen, nicht auffallen, deswegen habe ich es erst gar nicht begriffen. Ich dachte, sie redet. Neben ihr ein älterer Mann, ich sah nur die Silhouette. Er fasste sie mit Fingerspitzen bei den Schultern, als wollte er ihr aus dem Mantel helfen. Mein Gott, ist es denn meine Schuld?»
    «Was?», fragte Guzman.
    «Nein, das hat er zu ihr gesagt. Ein kurzer Wortwechsel, dann ging er über den Kiesweg zum Auto. In dem Augenblick öffnete ich die Glastür und sah noch die dicken Abgasschwaden über dem feuchten Gras. Übrigens ein Volvo. Ihr Vater?, fragte ich die Frau. Und in dem Moment hatte ich das Gefühl, mich selbst zu spüren.»
    «Was ist denn aus dieser Frau geworden?»
    «Nichts. Also, ich weiß es nicht. Sie hat mir damals ihre Telefonnummer gegeben, und ich habe den Zettel verloren.»
    «Verstehe.»
    «Sehen Sie, deshalb ist es so schwierig. Es funktioniert leichter umgekehrt: Man muss zuerst alles andere von mir abstreifen, alles Falsche, Unzutreffende, Hinzugedichtete, und wenn man Glück hat,

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