Der wahre Sohn
vorbereitet auf das, was kommen sollte, ihre Körper sind kräftig geworden, freudig haben sie Begeisterung gezeigt und gejubelt und schon als Säugling ihre Mutter mit offenen Augen angegrinst, du weißt ja, wie Babys sind, jedes himmelt erst mal seine eigene Mama an, auch wenn es die letzte Schlampe ist. Aber dann kommt die Enttäuschung. Sie haben gewartet und gewartet, aber es kam nichts. Sie fallen vom Wagen und bleiben am Rande der großen Straße liegen. Übersehen. Vergessen. Traurig, so was.»
Konrad sagte das nicht einfach nur so hin.
Arkadij protestierte. «Woher willst du das wissen? Versündige dich nicht. Man darf über einen Menschen nicht sagen, nicht am bitteren Ende seines Lebens, dass er nicht gebraucht worden wäre. Sieh mich an!»
«Und?»
«Mein Leben bekommt erst jetzt einen Sinn, ganz am Ende.»
«Und zwar?»
«Meine Aufgabe ist es, dir bei der Lösung deiner Probleme zu helfen.»
Konrad staunte, fuhr aber fort: «Guck dir doch diese Frau eben an, zum Beispiel. Sie wusste gar nicht, worum es geht. Sie freute sich einfach nur, dass wir sie beachten. Sie würde zu allem ja und amen sagen, Hauptsache, wir reden mit ihr. Deshalb hat sie uns in ihr Haus eingeladen.»
«Es hätte sehr gut Olha sein können. Sie hatte eine gewisse Ähnlichkeit. Nur der Leberfleck fehlte, das habe ich zu spät gemerkt. Halt mich nicht für blöd, Olha hatte einen schwarzen Punkt am Hals, ungefähr hier. Das weiß ich noch sehr gut.»
«Weiter nach Norden können wir nicht», sagte Konrad. «Hier fängt bald die Sperrzone um Tschernobyl an.»
«Nein, nein, noch längst nicht. Da stehen Kontrollposten an der Straße. Da kommt man sowieso nicht durch.»
«Halt mal an!», schrie er gleich darauf und griff ins Lenkrad.
Konrad verriss vor Schreck fast das Steuer.
«Was ist?»
«Der Mann im schwarzen Mantel! Hast du gesehen? Am Straßenrand?»
Konrad hatte nichts bemerkt.
«Mein Vater!»
«Dein Vater ist tot, Mann! Hör endlich auf mit deinen Geschichten!»
Sekundenlanges Schweigen, dann: «Stimmt ja.»
«Bist du verrückt geworden?», schrie Konrad.
«War nur ein Test», flüsterte Arkadij, selbst erschrocken. «Ob du noch normal bist.»
«Du nimmst jetzt vielleicht mal eine von deinen Pillen», sagte Konrad.
Sie hatten alle Fenster heruntergekurbelt. Die heiße Luft bauschte sich ins Auto, es war viel zu warm für Ende Mai.
«Wenn wir in diesem Tempo weitersuchen, wird deine Freiheit nicht lange dauern», sagte Konrad. «Der Tank ist fast leer. Irgendwann bleiben wir in der Wildnis liegen. Ich spiel dann nicht Krankenschwester für dich.»
«Witzbold», widersprach Arkadij.
«Bilde dir nicht ein, dass ich deinen Katheter austauschen könnte», sagte Konrad.
«Du willst mich hier einfach verrecken lassen?»
«Ich setz dich zu irgendjemandem ins Auto und lass dich ins Krankenhaus bringen. Das ist das höchste der Gefühle.»
«Du würdest mich nie im Stich lassen. Du bist Deutscher.»
«Was soll der Blödsinn?»
«So redet Svetlana immer. Sie hat einen Offizier geliebt.»
«Einen deutschen? Woher willst du das wissen?»
«Hat mein Vater mir erzählt.»
«Sag mal, könnte dieser deutsche Offizier …»
«Hör auf. Jeder könnte dein Auto haben. Jeder Mensch auf dieser Welt. Vermutlich hat es auch jeder schon mal gehabt. Zwischen hier und Taschkent hat jeder Kerl dein blödes Auto schon einmal besessen, und jetzt in diesem Augenblick, stell dir vor, drückt ein schmieriger Usbeke seinen dicken Arsch in das zarte Leder des Fahrersitzes. Tja, damit musst du dich abfinden. Deine Suche grenzt an Wahnsinn.»
Konrad brüllte vor Lachen.
«Was ist so lustig?»
«Entschuldige», prustete er, «wie du redest. Du wirfst mir Wahnsinn vor.»
«Ich bin eben schon weiter. Austherapiert. Durchanalysiert. Ich sehe die Dinge klarer. Du träumst noch. Was du verloren hast, wirst du nie wieder finden.»
«Frag dich lieber, wer deine Olha schon alles gehabt hat.»
Arkadijs Blick stach wieder durch das Fenster.
Zwei Kilometer weiter sagte Konrad: «Pardon. Aber du hast angefangen.»
Arkadij schwieg.
«Wenn du sie nicht liebst, kann es dir scheißegal sein, oder?», versuchte er es nach einer Weile wieder.
Arkadij sagte nichts.
«Du hast doch immer gesagt, sie wollte ein Junge sein.»
Schweigen.
Irgendwann hielt Konrad es nicht mehr aus und trat voll auf die Bremse. Es schleuderte den Wagen einmal kurz nach rechts, dann kam er auf der leeren Straße zum Stehen. Konrad stieg aus dem Auto. Unter der
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