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Der wahre Sohn

Der wahre Sohn

Titel: Der wahre Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Kühl
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Motorhaube hörte er die Bewegung der Kolben im heißen Öl, über den Feldern sangen die Lerchen. Arkadij saß wortlos da.
    «Und jetzt?», fragte er aus dem Auto.
    «Ich fahr erst weiter, wenn du redest. Ich bin allergisch gegen Schweigen.»
    Arkadij wandte sich ihm langsam zu: «Zwischen deinem Auto und Olha ist ein Unterschied von Tag und Nacht.»
    «Ach, jetzt auf einmal doch», sagte Konrad, stieg ein und fuhr weiter.
    Die Landschaft wurde hügelig. Schnurgerade lief die Straße, irgendwo rechts glänzten Wasserflecken auf. Das waren keine natürlichen Teiche, eher Staubecken. Bald darauf fuhren sie durch Felder mit grünem, noch niedrigem Weizen, den warmer Wind in sanfte Wellen legte. Kaum sichtbare, dunklere Gangspuren aus niedergedrückten Pflanzen durchfurchten dieses Meer, von Mensch oder Tier stammend. Ein paar Wolkenfetzen, sahnig weiß, waren vor dem pastellblauen Himmel verrührt.
    Es war ein Fehler gewesen, so spät loszufahren. In wenigen Stunden würde es dunkel werden.
    «Ist doch wunderschön hier. Diese Freiheit hättest du längst haben können. Wieso hast du dich so lange in der Klinik einsperren lassen?»
    Als er den Kopf zur Seite drehte, hatte er den Eindruck, in einen Spiegel zu blicken. Als wäre der Mann neben ihm er selbst. Als führte er Selbstgespräche. Vor Schreck und um diesen Eindruck abzuschütteln, riss er das Lenkrad mit einem kurzen, harten Ruck nach links. Arkadij wurde gegen die Beifahrertür geworfen.
    «War was?», fragte er.
    «Wollte nur sehen, ob du wirklich da bist», sagte Konrad.
    Arkadij lächelte.
    «Du bist für mich wie ein Bruder», sagte er anerkennend.
    «Hör auf mit dem Quatsch!»
    «Doch. Am Anfang habe ich eine Zeitlang gedacht, du wärst mein älterer Bruder, den ich nie wieder gesehen habe. Er muss drei, vier Jahre älter gewesen sein als ich.»
    «Danke für das Kompliment.»
    «Ich hatte Angst.»
    «Angst? Wovor?»
    «Vor Svetlana.»
    «Vor deiner Mutter.»
    «Du kennst sie nicht, sie kann furchtbar werden. Svetlana hat gesagt, die Klinik ist das Beste für mich. Sie hat dafür gesorgt, dass ich nicht rauskomme.»
    «Das kann doch nicht der einzige Grund sein. Wenn du ein Mann wärst, hättest du dir das nicht bieten lassen.»
    «Hab ich ja nicht, bin immer wieder abgehauen. Aber andererseits, ich fühlte mich auch sicher dort. Mit Professor Guzman konnte ich mich sehr gut unterhalten. Er war wie ein Vater. Solange Guzman da war, hatte ich gar keinen Grund, wegzugehen. Zwei- oder dreimal in der Woche interessante Gespräche, genug Essen, Ruhe. Durch ihn habe ich so viel verstanden. Und am Ende kam ich ja auch raus, aber dann …»
    «Was dann?»
    «Dann kam dieser Mann.»
    «Welcher Mann jetzt?»
    «Der Vater umbringen wollte. Vater war schon krank. Ich habe ihn einmal in der Klinik besucht, und als Svetlana auf der Toilette war, hat er zu mir gesagt, ich soll mich irgendwo verstecken. Auf keinen Fall in die Wohnung zurück. Am besten in der Klinik bleiben.»
    «Wann war das?»
    «Vor über einem Jahr.»
    «Weißt du, wer dieser Mann war?»
    «Nein. Ich habe ihn nie gesehen. Ein Wahnsinniger. Er hatte schon zwei oder drei Offiziere erschossen. Aber als ich den Ärzten davon erzählte, hat Doktor Prokoptschuk behauptet, ich leide an Verfolgungswahn.»
    «Und jetzt hast du keine Angst mehr vor ihm?»
    «Nein. Er hat sein Ziel erreicht. Mein Vater ist tot. Vielleicht sucht er jetzt andere Offiziere, ich weiß nicht. Ich bin ja keiner. Ich sehe schon, du glaubst mir wieder nicht.»
    «Doch, doch. Ich weiß es. Ich war in dem Krankenhaus, in dem dein Vater lag. Hab nachgefragt.»
    «Du bist dort gewesen?»
    «Ja. Der Arzt hat mir gesagt, dort ist wirklich ein Mann aufgekreuzt und hat deinen Vater bedroht. Aber umgebracht hat er ihn nicht, er ist an seiner Krankheit gestorben. Sagt der Arzt.»
    «Siehst du», atmete Arkadij auf. «Ich bin nämlich nicht verrückt.»
    Konrad brachte es nicht übers Herz, ihm etwas von Olhas Kind zu sagen. Dann hätte er vielleicht wirklich den Verstand verloren, hätte getobt, womöglich geglaubt, es sei von ihm. Wenn ihm überhaupt jemand davon erzählen durfte, dann einzig und allein Olha.
     
    Es wurde dunkel.
    «Wir müssen irgendwo übernachten», sagte Arkadij. «Heute kommen wir nicht mehr weiter. Am besten, wir fahren an den Waldrand und schlafen im Auto.»
    Es war bald kühl im Wagen. Konrad zog sein Jackett vor der Brust zusammen und kauerte sich auf den Beifahrersitz. Bald lag sein Kopf auf dem

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