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Der wahre Sohn

Der wahre Sohn

Titel: Der wahre Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Kühl
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der Universitetskaja nach dem gediegenen Restaurant, das ihm zuvor aufgefallen war. Die Speisekarte hing draußen in einem Glaskasten. Unter normalen Umständen wäre er nie in einen so teuren, steifen Laden gegangen. Die Kellner servierten in ukrainischer Volkstracht, das ungestrichene Holzgebälk der Decke lag frei, auf den weißen Tischdecken ruhten bestickte Servietten, zur Begrüßung gab es Honigwein, und neben den Tellern standen Schälchen mit Meerrettich. Nur wenige Gäste saßen an den Tischen. Männer mit seltsam runden, stumpfen Gesichtern, Boxern ähnelnd, nur die Augen hatten Leben, mit ihnen nichtssagende Blondinen. Er mochte weder diese Gäste noch diese ausgestellte, leblose Folklore, er fand sie nicht einmal amüsant. Dennoch bestellte er Piroggen mit Pilzen und solche mit Fleisch, weil man sich mit den blassen Teigtaschen so richtig widerlich vollstopfen kann. Dazu ein erstes großes Pils.
    Als er wieder auf die Straße trat, war er weder glücklich noch satt, nur vollgestopft und benebelt. Beinahe war ihm übel. Er wusste nicht mehr genau, was er suchte.
    Essen war immer ein gangbarer Weg, aber es war nie ein Ersatz für Liebe. Im Gegenteil, das Essen kann den Mangel erst richtig spürbar machen. Sich den Bauch vollstopfen … von einer Frau gefüttert zu werden, die man eigentlich vögeln will. Das ist eine Erniedrigung. Als Vorspiel, gut, aber nicht als Ersatz.
    In seiner Empörung war er wieder in der Chmelnickijstraße gelandet. Er konnte nicht ein zweites Mal an diesem Tag in Mazepas Büro gehen und so tun, als interessierten ihn die fehlenden Ergebnisse, als wollte er ihn zu einem energischeren Vorgehen bewegen. Im Grunde ließ Mazepas Rationalität ihn völlig unbefriedigt. Er spürte eine geradezu körperliche Abneigung gegen diese betuliche, systematische Art der Nachforschungen. Das war ein bisschen arg viel Annäherung an den Auftraggeber. Wenn Slawen plötzlich deutsche Tugenden annehmen, werden sie unausstehlich.
    Deshalb schlenderte er weiter durch die Einkaufsmeile und sah sich an den unappetitlichen Eindringlingen in der Stadt satt, den Touristen. Am unteren Ende des Kreschtschatik angekommen, ging er nach einem lustlosen Seitenblick auf sein Hotel weiter geradeaus, zum pompösen Denkmal der russisch-ukrainischen Wiedervereinigung, von dem aus sich ein weiter Blick über den Fluss eröffnete. Er wollte zum Wasser. Auf der Dnjeprbrücke blieb er stehen. Am nördlichen Horizont zeichnete sich ein Gespinst von Baukränen und Hochhäusern im blauen Dunst der Abenddämmerung ab. Er ging ans andere Geländer und blickte nach Südwesten. Zwischen den Gebäuden der Altstadt loderte tiefes Rot. Mächtig und breit strömte der Dnjepr in Richtung Süden. Wieder folgte sein Blick willig diesem Strom, weiter und gefährlich weit, bis er schon uneinholbar in der Steppe war. Im letzten Moment fing er ihn wieder ein und stellte ihn scharf auf die glatten Wasserstrudel unter der Brücke. Um sie herum rillte sich das Wasser und grollte, in unersättlicher stiller Wut.
    Es war nicht zu leugnen: Er hatte in dieser Stadt keinen anderen Kontakt als Svetlana. Er hatte keine Bekannten, keine konkrete Spur. Gar nichts. Nur die Witwe des Fahrzeughalters. So unschuldig sie auch wirkte, sie steckte mittendrin, im Auge des Strudels.
    Er ging wieder hoch in die Altstadt. Wie zum Hohn bremste ein dunkler Mercedes neben ihm an der Ampel. Baureihe Wilhelm  126 , Zeitwert vielleicht fünfzehntausend Mark, er würde dreißig Prozent davon für die Wiederbeschaffung bekommen. Das lohnte den Einsatz nicht. Keine Versicherung würde so einen Wagen zurückholen. Als er losging, sah er, dass die Frau auf dem Beifahrersitz ihren Kopf aus dem Fenster streckte und sich im Seitenspiegel schminkte. Sie hatte die dicken, operierten Lippen der neureichen Russin oder Amerikanerin. Es scherte sie überhaupt nicht, dass er ihr dabei zusah. Mit diesen Lippen stülpte sie ihr ganzes Innenleben nach außen, als wollte sie fressen. Damit war sie wahrscheinlich umfassend charakterisiert.
    Konrad streifte weiter durch die Stadt. Als er um zwei Uhr nachts in die Hotelhalle kam, lief ihm das Mädchen über den Weg. Er übersah ihr Lächeln, sie huschte ein wenig erschrocken an ihm vorbei. Beim Warten auf den Fahrstuhl drehte er sich noch einmal um und sah sie um die Ecke verschwinden, an der Seite eines anderen Mannes. Er spürte einen ganz idiotischen Stich von Eifersucht.
    Er musste sich zur Vernunft zwingen. Oben legte er sich aufs

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